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„Wir leben besser als alle Könige jemals zuvor“

Interview

„Wir leben besser als alle Könige jemals zuvor“

ARCHITEKT LAURIDS ORTNER IM GESPRÄCH AUF DER MQ LIBELLE

Natalie Agyeman und Erwin Uhrmann trafen Laurids Ortner auf der MQ Libelle und sprachen mit ihm darüber, warum er Architekt geworden ist, was gute Kleidung und gute Bauten gemeinsam haben, warum unser Lebensstil sich auf Kosten anderer aufbaut, welchen Architekten aus der Vergangenheit er gerne treffen würde, was er von Adolf Loos hält, ob es zeitlose Architektur gibt und warum zum Funktionieren eines Bauwerks auch eine ordentliche Portion Glück gehört.

EU: Es gibt einen Text von Adolf Loos, der den Titel „Warum ein Mann gut angezogen sein soll“ trägt. Loos beginnt mit einem Lob der Gegenwart. Wie steht es diesbezüglich um Sie? Fühlen Sie sich wohl in unserer Zeit, oder würden Sie eine andere bevorzugen?

Nein, wir leben trotz aller Herausforderungen in der besten aller möglichen Zeiten. Ich lebe hier und fühle mich hier wohl.  

EU: Noch einmal zurück zu Loos. Wie stehen Sie zu ihm?

Als Architekt hat Loos große Dinge in Bewegung gesetzt. Er war einer der wichtigsten Vorreiter für das, was wir heute unter guter und zeitloser Architektur verstehen. Zu seinen Lebzeiten bereits eine schillernde Figur, weltweit berühmt in den 1970er- und 80er-Jahren. Jetzt kommt die Erkenntnis hinzu, dass er sich als Mann einiges zu Schulden hat kommen lassen, und das trübt den Blick auf diese unantastbar scheinende Künstlerfigur. Für jeden, der sich heute solcher Vergehen schuldig macht, folgt ein Ausschluss aus der Gesellschaft – und wenn nicht juristisch, dann in allen anderen Funktionen. Loos‘ Image als brillanter Architekt hat im Nachhinein massive Kratzer bekommen.

EU: Über solche Fälle wird heftig diskutiert…

Ja, es ist ein ernstes Thema. Jetzt gibt es natürlich Stimmen, die sagen „Moment, die Kunst, oder das, was hier an geistiger Leistung, an Vorarbeit überhaupt erbracht wurde, ist davon nicht berührt.“ Es gibt Mörder, die berühmte Schriftsteller geworden sind und was weiß der Geier. Aber Loos ist mit seinem Verhalten in eine enge Gasse geraten. Was er getan hat, ist nicht mit einer Tat im Affekt zu vergleichen.

© Bubu Dujmic

EU: Sie kennen viele lebende Architektinnen und Architekten persönlich. Aber welchen Architekten oder welche Architektin aus einer anderen Zeit hätten sie gern kennengelernt?

Da gibt es einige. Mies van der Rohe hätte ich gern kennengelernt. Der war, glaube ich, als Gesprächspartner sehr sperrig. Wer mich zunehmend interessiert ist Louis Sullivan. Frank Lloyd Wright hat Sullivan immer als seinen großen Meister bezeichnet. Louis Kahn habe ich während meiner Studienzeit im Rahmen eines Besuchs in Philadelphia kennengelernt. Es war beeindruckend, wie suggestiv er erzählen konnte, welche Geschichten aufkamen und wie wichtig diese Erzählungen waren, um seine Architektur zu verstehen.

EU: Kommen wir auf Sullivan zurück, der mit seinem Ausspruch „form follows function“ Generationen von Architektinnen und Architekten prägte.

Sullivans Architektur ist aus heutiger Sicht plötzlich wieder beispielgebend: eine sehr reduzierte Form einerseits, andererseits findet die Ornamentik darin Platz, der Griff in die Zauberkiste vergangener Epochen. Nach 100 Jahren Moderne können wir sagen: Bitte, es muss nicht alles auf ein puristisches Level gebracht werden. Es war wichtig, sich von dem ganzen Ballast zu befreien, Luft und Licht hereinzulassen. Umgekehrt schauen wir uns bitte an, was passiert ist: die Städte sind zerfleddert. Wir trauern dem Modell der Stadt des 19. Jahrhunderts nach, das eigentlich heute viel tragbarer ist, und versuchen, es wiederherzustellen. Das sind Themen, die bei Sullivan sehr explizit vorgeführt wurden in jedem seiner Bauten.

© Bubu Dujmic

EU: Bevor wir uns weiter mit der Stadt beschäftigen, eine andere Frage: Haben sie ein Lieblingsgebäude? Was kommt Ihnen vor Augen, wenn wir Ihnen diese Frage stellen?

Erstaunlich wenig oder eigentlich nichts, wenn ich ganz ehrlich bin. Wenn Sie mich fragen würden, wer mein Lieblingsarchitekt ist, hätte ich auch Probleme. Das ist, glaube ich, ein Problem von Architekten generell. Während bei den Malern oder bei den freien Künstlern der Faden zu ihrer Geschichte nie gerissen ist, so ist das bei Architekten immer schwierig. Ich könnte sagen, die Villa Malaparte ist mein Lieblingshaus. Aber war es wirklich so eine tolle Tat, diesen rosa Riegel mitten in eine einzigartige Formation aus Felsen und Meer zu setzen? Eine mutwillig heroische Geste. Anachronistisch im Willen, der Natur zu zeigen, wer der Herr ist, faszinierend als Frevel.

NA: Da stellt sich jetzt die Frage nach zeitloser Architektur. Gibt’s das?

Da kommen wir einer Antwort schon näher. Gute Architektur hat immer einen geheimen Pakt mit der Ewigkeit. Das ist eigentlich der Anspruch der Architektur gegenüber anderen Künsten. Wenn man etwas baut, sollte es sowohl physisch als auch intellektuell haltbar bleiben. Um so etwas zu schaffen, darf man nicht auf das Tagesgeschehen schielen oder danach trachten, dass es momentan die Leute vom Sessel reißt.

EU: Haben Sie diesen Gedanken der Haltbarkeit im Sinn gehabt, als sie das MuseumsQuartier geplant haben?

Das MuseumsQuartier ist genau deswegen zunächst mit gerümpfter Nase betrachtet worden. Man kann, denke ich, ohne Übertreibung sagen, dass es sich bewährt hat und architektonisch haltbar ist. Als es gebaut wurde, haben sich viele einen großen Effekt gewünscht, ein lautes, kulturelles Signal. Freunde feindeten mich damals richtig an, dass solche Vorstellungen nicht erfüllt wurden und es dann noch um ein Viertel verkleinert werden musste. Der größte Vorwurf anderer Architekten war, dass es sich hinter Fischer von Erlachs-Bau duckt und das Neue vom Alten in die Zange genommen wird. Seit damals sind 20 Jahre vergangen und mittlerweile haben alle realisiert, dass es eine europäische Qualität ist, das Alte mit dem Neuen so zu verschränken, dass hier ein anderer Geist entsteht. Was würde es mir nützen, wenn ich in Abu Dhabi vielleicht freie Hand hätte, um spektakulär zu bauen? Wir haben hier in Europa ein fantastisches Problem, um das uns alle auf der Welt beneiden, nämlich ein Erbe, mit dem wir umgehen müssen, und das passiert heute viel offensiver. Es geht nicht mehr darum, dass sich das Alte hinter dem Neuen zurücknehmen muss oder umgekehrt, oder dass das Neue besser sein muss als das Alte, sondern es geht darum, wie man beides verschränken kann.

NA: Ein Bestehen und Verstehen.

Ja genau, absolut.

© Bubu Dujmic

EU: Weil Sie Fischer von Erlach erwähnt haben, der war aus Italien kommend ein damals stilbildender Architekt. Wie war es eigentlich, sich als Zeitgenosse mit ihm auseinanderzusetzen?

Mir ging es nie darum, mich als zeitgenössischer Architekt mit einem Barockbaumeister zu messen. Bestimmend für die Anlage des MuseumsQuartier waren die Kraftlinien, die hier zusammentreffen. Die strikte Ordnung des Kaiserforums mit Kunst- und Naturhistorischem Museum endet mit dem dazu leicht schräg gestellten Fischer von Erlach-Trakt, der das MQ als Klammer fasst. Der helle Kubus des Leopold Museums setzt die Richtung der Hofmuseen fort, knüpft auch inhaltlich an die neuere österreichische Geschichte an. Der Basaltkubus des mumok aber nimmt die Richtung der dahinter liegenden Bebauung des 7. Wiener Gemeindebezirks auf. Ein vorgeschobener Block einer jungen, demokratischen Gesellschaft könnte man sagen. Die Ausrichtung der neuen Museen ergibt sich also aus den Bezugslinien des schon Bestehenden. Ein Schnittpunkt im Grundriss der Stadt, der durch das Zusammentreffen historischer und stadtgestalterischer Entwicklung mit eigener Magie aufgeladen ist.

EU: Die Magie spielt im MQ eine wichtige Rolle, auch die Frage nach positiven Einflüssen, vielleicht auch nach dem Schönen. Sind Sie ein Ästhet und spielt Mode für Sie eine Rolle?

Mir scheint, Ästhetik als forcierte Suche nach dem Schönen macht seit längerem ein Päuschen. Für mich ist es die Reduzierung des vernünftig Brauchbaren in Mischung mit erfreulichem Überfluss, Schlichtes untrennbar mit Glamourösem verbunden, ein Oxymoron – ein spannungsgeladenes Gegensatzpaar. Bei der Kleidung fängt es an. Sie muss mich in meiner Position unterstützen, muss Mut machen und Haltung geben, gute Stimmung erzeugen – damit lässt sich eine Menge erreichen, ohne einen Finger zu krümmen oder ein Wort gesagt zu haben.

EU: Haben gute Architektur und gute Kleidung für Sie etwas gemeinsam?

Ganz klar. Alle guten Architekten sind exquisit gekleidet. Die Stars besonders. Loos, Mies van der Rohe, Frank Lloyd Wright, Le Corbusier… sie alle kannten die geheime Magie der Oberfläche, mussten eitel sein aus strategischem Kalkül.  

© Bubu Dujmic

EU: Kommen wir noch einmal zurück zum Thema Stadtplanung. Wie gehen Sie eigentlich durch die Welt? Sehen Sie die hässlichen Gebäude oder sehen Sie die gelungenen?

Ich habe Mitte der 1970er-Jahre einen Artikel mit dem Titel „Amnestie für die gebaute Realität“ für die Schweizer Zeitschrift „Archithese“ geschrieben und das trifft nach wie vor mein Denken und ist generell eine sinnvolle Annäherung an die Stadt. Die Stadt ist als Gesamtheit grundsätzlich zu akzeptieren. Ist es tatsächlich unser demokratisches System, das diese gebaute Form annimmt, und verursachen wir mit unserer demokratischen Haltung letztlich auch Dinge, die nicht in unser formales, ästhetisches Empfinden hineinpassen? Müssten wir nicht eher unsere Leitbilder ändern, anstatt zu fordern, dass die ganze Stadt sich ändert? Wir haben es mit einem Wahrnehmungsproblem zu tun. Wenn ich mich im Gebirge aufhalte, würde ich nie auf die Idee kommen, dass man eine Bergspitze geraderücken müsse, damit der Berg besser aussieht. Wir empfinden die Landschaft als eine unverrückbare Qualität. Die städtische Umgebung ist längst zweite Natur, man müsste sie primär so betrachten wie eine Naturlandschaft. Die Annäherung an die Natur und an die Stadt sollte die gleiche sein.

© Bubu Dujmic

EU: Sie haben erwähnt, dass jemand, der gut gekleidet ist, die Stimmung in einem Raum hebt. Könnte nicht auch Architektur das Wohlbefinden steigern? Messen wir als Gesellschaft dem Bauen überhaupt genug Stellenwert zu?

Ich glaube daran, nur die Realität sieht anders aus. Das ist kein Vorwurf gegen Architekten oder Investoren. Die öffentliche Hand kann eingreifen, Richtlinien festlegen, den Verkehr regeln, Areale für Nutzungen widmen. Sichtbar aber wird, worauf jeder das Recht hat, dass es umgesetzt werden kann. Dies ist ein organischer, natürlicher Prozess, der nur in geringem Maß ganzheitlich beeinflussbar ist. Areale, in denen man sich wohl fühlt, ergeben sich eher durch günstige Konstellationen als durch gezielte Planung. Das ist der Preis unseres demokratischen Wirtschaftssystems. Zu diesem unzähmbaren Sauhaufen haben wir zu stehen. Wir haben uns an ihn anzupassen.

EU: Sie haben Architekten wie Le Corbusier, Mies van der Rohe oder Frank Lloyd Wright erwähnt – Persönlichkeiten, die jedes Detail kontrolliert haben. Frank Lloyd Wright hat seinen Klienten sogar verboten, Vorhänge aufzuhängen.

Mies van der Rohe war zum Teil noch rigoroser. Da durften die Sessel gar nicht mehr verrückt werden.

EU: Wenn man sich heute eines dieser Gebäude ansieht, ist das gesamtheitliche Konzept faszinierend. Heute wäre das nicht mehr möglich. Wie hat sich vor diesem Hintergrund das Selbstbild des Architekten in den letzten Jahrzehnten verändert?

Natürlich gab es eine starke Veränderung des Selbstbilds. Ich möchte weder in einem Mies van der Rohe-Bau noch in einem Haus von Wright wohnen. Im Grunde genommen ist diese Starrheit absurd und gegen das, was wir heute unter wohnen oder leben verstehen. Diese architektonischen Manifeste waren damals wichtig. Nachdem wir die ganzen Lektionen gelernt haben, können wir uns eigentlich daran machen, ungeniert gemütlich zu wohnen. Ich sehe da keinen Widerspruch. Das hat übrigens auch Loos gesagt: „Beim Wohnen kann niemand einen schlechten Geschmack haben.“ Wem sollte man da Vorschriften machen? Umgekehrt, die damalige Tendenz, auch noch bis zum letzten Aschenbecher eine ganze Einrichtung zu entwerfen, ist heute lächerlich. Ich frage mich ebenso wofür heute überhaupt noch so viele Stühle entwickelt werden, wenn es doch genügend gute Modelle gibt. Die Kombination und das Verbinden von verschiedenen fast widersprüchlichen Elementen ist viel eher unser Thema beim Einrichten, beim Leben und beim Wohnen als eine homogene Formalität.

NA: Was braucht es für Sie räumlich, damit Sie sich wohlfühlen?

Am besten einen großen, hohen Raum mit genügend Licht, aber keine allzu großen Glasfronten. Eine Wohnung kann durchaus gemietet sein, man muss nicht immer alles besitzen. Ein wesentlicher Anteil an Mauersubstanz sollte vorhanden sein, der dem ganzen Halt gibt, für Schattenbereiche sorgt und den Raum strukturiert. Im Grunde mag ich eine Atelieratmosphäre, wo man die Dinge dort platziert, wo sie gerade benötigt werden, ob das jetzt Bücherstapel sind, oder ein Bett ist, dass sich ab und zu in verschiedene Richtungen verschiebt. Ohne der Mobilität einen zu großen Spielraum zuzubilligen, mag ich es, durch nichts eingeengt zu werden. Betrachtet man die Wohnungen von Loos, so ist der ganze Raumplan im Grunde fürchterlich. Ich möchte dort nicht wohnen. Das ist wie ein zu enger Anzug. Ich muss ununterbrochen über drei Stufen hinauf, dann bin ich auf einer anderen Ebene, habe vielleicht einen anderen Blick, aber bitte wofür? Das ist letztlich eine Inszenierung, die einmal am Abend vielleicht attraktiv sein kann. Gebt mir einen großen Raum, der angenehm belichtet ist, und alles andere kommt von selbst. Dazu brauche ich weder Architekt zu sein, noch sonst viel zu wissen.

EU: Das führt schon zur nächsten Frage, die mit dem Raum zu tun hat. Die MQ Libelle ist so etwas wie ein Überblicksort. In Wien gibt es wenige Orte, die Überblick bieten. Die MQ Libelle bietet das kostenlos und demokratisiert damit einen begehrten Raum. Man sieht Wien aus einer neuen Perspektive. Wie sehen Sie Wien von dem Ort, den Sie geschaffen haben?

Von der MQ Libelle aus ist Wien von einer Pracht und Qualität wie es eigentlich nirgendwo anders zu sehen ist. Aus dieser Perspektive kann man erkennen, was man sich unter einer europäischen Metropole vorstellt. Den Blick in seiner Konfrontation mit dem Vorhandenen, mit der alten Stadt, mit der Stadtmitte, gibt es kein zweites Mal. Es kommen mehrere Komponenten zusammen: die Position innerhalb der Stadt, das Widersprüchliche, das sich durch den Block des Leopold Museums und der freien Form der Libelle darauf ergibt, antithetische Themen, die ein gewisses Knistern verursachen. Doch ist man erst einmal oben, erlebt man eine Art von Leichtigkeit und Heiterkeit, die sich gar nicht mehr an Form, Materialien oder Helligkeit festmachen lässt. Es geschieht das, was man theoretisch von Architektur verlangt: Dass sie dich von allen Seiten einhüllt, von allen Seiten auf dich positiv einwirkt. Als Planer kannst du dir solche Dinge wünschen und ausdenken, aber in Wahrheit, gehört eine Portion Glück dazu, dass es dann wirklich so wird.

EU: Wir haben über Wien gesprochen. Ist Wien Ihre Lieblingsstadt, oder haben Sie eine andere Lieblingsstadt? Oder gibt es überhaupt so etwas wie eine Lieblingsstadt für Sie?

Eine Lieblingsstadt habe ich nicht. Wenn ich an Italien denke, wüsste ich viele Lieblingsstädte, in Frankreich detto. Wien hat eine Qualität, die von seinen Einwohnern oft ein wenig bagatellisiert wird, doch im Grunde genommen ist es unglaublich, wie die Stadt funktioniert, welchen Reichtum sie ausstrahlt, welche Selbstverständlichkeit sie hat mit all dem, was hier schon vorhanden war und über Jahrhunderte geschehen ist. Dass Wien in Ranglisten oft als lebenswerteste Stadt abschneidet, kommt nicht von ungefähr. Abgesehen von Kriterien wie Sicherheit und Gesundheit funktioniert Wien als optisches Phänomen fantastisch. Hinzu kommt das Überangebot an Kultur, bei dem man sich fragen muss: Um Gottes Willen, wer soll das alles konsumieren? In Wirklichkeit ist das Leben in dieser Stadt eine Form von Überfluss, von luxuriöser Qualität, die man eigentlich nur allen anderen Menschen auch wünschen kann. Hochgerechnet wird man feststellen, dass so viel Luxus auf Kosten anderer geht – und damit verbunden ist die Frage zu stellen: Ist es eigentlich recht, dass ich alles so in dem Ausmaß genießen kann und dass ich derart überprivilegiert bin?

EU: Das ist eine Tatsache, die in unserer Zeit glücklicherweise zunehmend reflektiert wird.

Es betrifft natürlich viele Bereiche unseres Lebens, aber gerade in einer Stadt wie Wien kommt es potenziert daher. Unsere Lebenswelt führt uns eines vor Augen: Wir leben besser als alle Könige jemals zuvor.

© Bubu Dujmic

NA: Von den Zeiten des Überflusses würden wir gerne mit Ihnen in eine ganz andere Zeit zurückspringen, und zwar in Ihre Kindheit. Haben Sie als Kind auffällig viel mit Lego oder Matador gespielt?

Eigentlich nein. Ich vermute, sie spielen damit auf die spätere Berufswahl an. Ich hatte als Kind keine besonderen Ambitionen, was Architektur betrifft, auch von meinen Eltern her nicht. Ich war ein denkbar schlechter Schüler, meine Eltern hofften nur, dass ich durchkomme. Ich hatte in acht Jahren drei Nachprüfungen. Dabei saß mir immer die Tatsache im Genick, dass meine jüngere Schwester die beste Schülerin in der Klasse unter mir war. Wäre ich durchgefallen, dann wäre das für sie, für mich und für meine Eltern furchtbar gewesen. Als die Matura schließlich geschafft war, hat sich die ganze Familie den Kopf darüber zerbrochen, was der arme Bub jetzt eigentlich studieren und was aus ihm werden soll. Architektur erschien damals schlichtweg als harmloseste Profession.

EU: Vermutlich ist das eine der besten Coming-of-Age Geschichten in der Architekturwelt.

NA: Werden Sie eigentlich oft um Rat gefragt? Wie bei Ärztinnen und Ärzten, die in ihrer Freizeit oft konsultiert werden von Freunden. Wie oft werden Sie bei der Planung eines Hauses oder bei der Einrichtung einer Wohnung um Hilfe gebeten?  

Dass jemand sagt „Könntest Du mir nicht helfen, ich habe Probleme mit meiner Einrichtung“ kommt eigentlich nie vor. Ich glaube, davon ist man abgekommen. Würdet ihr jemanden um einen Tipp bei Einrichtungsthemen fragen?

NA: Ich persönlich bin in der Hinsicht sehr zurückhaltend. Es kommt wahrscheinlich darauf an, wo und mit wem man sich unterhält. Ich kann mich erinnern, dass mein Vater oft gefragt wurde, ob er nicht einen Blick auf einen Plan werfen kann oder ob er entsprechende Ideen hätte…

Ich kenne das eher gegenteilig. Oft bin ich eingeladen, um etwas ausgiebig zu bewundern. Man erwartet weniger Tipps, sondern Lob. Und ich lüge dann auch immer, dass sich die Balken biegen.

© Bubu Dujmic

NA: Zum Schluss haben wir noch vier Gegensatzpaare für Sie. Was entspricht Ihnen eher? Freigeist oder Dogmatiker?

Ist das wirklich eine Alternative? Ich glaube nein. Freigeist zu sein benötigt eine ordentliche Portion Dogmatismus, damit sich etwas bewegt.

NA: Träumer oder Realist?

Realist

NA: Zurückhaltend und introvertiert oder exzentrisch?

Ich würde sagen zurückgenommen. Da wird zurückgenommen, was vielleicht zu laut war, aber es wurde nicht von vorne herein zurückgehalten.

NA: Reduktion oder Glamour?

Auch da sehe ich überhaupt keinen Widerspruch. Reduktion ist absolut notwendig für jede Form von formaler Äußerung. Glamour wiederum hat mit intelligenter Reduktion zu tun. Ich halte das für unabdingbar. Wenn Reduktion keinen Glamour hat, dann ist etwas verkehrt gelaufen.  

NA: Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Erwin Uhrmann und Natalie Agyeman
Location: MQ Libelle
Fotos: Bubu Dujmic Photography

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