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Von Humor, Rhythmus und verborgenen Welten – Ein Gespräch mit MQ AiR Heta Jäälinoja

Interview

Von Humor, Rhythmus und verborgenen Welten – Ein Gespräch mit MQ AiR Heta Jäälinoja

Die finnische Animationskünstlerin und Filmemacherin Heta Jäälinoja erhielt für ihren Animationsfilm „Nun or Never!“ den MQ Tricky Women/Tricky Realities Artist-in-Residence Award 2024. Von März bis Ende Mai ist sie im MuseumsQuartier als Artist-in-Residence zu Gast, wo sie an neuen kreativen Projekten arbeitet.

Alle deine Filme haben eine ganz eigene Tonalität – sie wirken leicht und humorvoll, tragen aber gleichzeitig eine tiefe, bedeutungsvolle Ebene in sich. Rhythmus, Beziehungen und ein Hauch von Absurdität spielen eine besondere Rolle – und das alles ganz ohne Worte. Das macht deine Filme außergewöhnlich.

Wie entwickelst du deine Figuren und Geschichten so, dass sie so klar Emotionen transportieren, ganz ohne Dialog? Planst du das von Anfang an?

Ehrlich gesagt hat es lange gedauert, bis mir klar wurde, dass genau das meine Stärke ist. Zu Beginn meines Animationsstudiums habe ich dramatische und düstere Animationsfilme bewundert und wollte selbst solche Filme machen. Die Erkenntnis, dass meine Zeichnungen eher komödiantisches Potenzial haben, kam nur sehr langsam. Bis jetzt ist jeder meiner Filme auf eine andere Art und Weise entstanden – ich habe also kein Rezept dafür, auch wenn ich mir manchmal eines wünschen würde!
Dass ich Geschichten ohne Dialog erzähle, hat viel mit meinem Studium in Turku und Tallinn zu tun. Im Grunde ist das die einzige Art, wie ich eine Geschichte denken kann. Ich finde, es schafft Raum für andere filmische Ausdrucksmittel wie Bewegung und Klang. Für mich persönlich hilft es auch, Animation klar von den Regeln des Realfilms zu unterscheiden. Früher habe ich sehr stark auf Musik gesetzt, um Emotionen zu transportieren. In letzter Zeit bin ich mit dem Einsatz von Musik kritischer geworden.

Heta Jäälinoja, Penelope, 2016

Dein Abschlussfilm „Penelope“ beginnt mit einer alltäglichen Situation, die viele sofort nachvollziehen können: Es klingelt an der Tür, und in der Wohnung bricht Chaos aus. Deine Penelope bringt – mit allen Mitteln der Animation – ihre Wohnung und sich selbst in Ordnung, bevor sie schließlich die Tür öffnet. Was war die Inspiration für dieses Szenario?

Ich hatte lange an einem anderen Drehbuch gearbeitet, fühlte mich total gestresst und unter Druck. Meine Professor:innen Olga und Priit Pärn sagten immer wieder: Das ist noch kein Film – und sie hatten recht. Eines Abends war ich erschöpft und kritzelte vor mich hin, dabei entstanden Szenen rund ums Putzen. Die gefielen meinen Professor:innen, und ich hatte das Gefühl, endlich etwas Interessantes für mich und andere gefunden zu haben. Ich war so glücklich, dass ich mir selbst Narzissen kaufte. Es war das erste Mal, dass ich ganz bewusst versucht habe, einen lustigen Film zu machen.

Ich glaube, das ist eine sehr nachvollziehbare Situation. Ich bin nicht besonders gut im Ordnung halten, und Putzen erscheint mir so sinnlos – es hört ja nie auf. Einige Szenen im Film wurden stark von Priits Storyboard-Kursen und seinen surrealistischen Übungen inspiriert, andere von Igor Kovalyovs Gedanken zu Rhythmus. Die Szene mit dem Teppichklopfen wiederum wurde durch Bonnie Tylers Musikvideo „Total Eclipse of the Heart“ angeregt.

 

Der Titel „Penelope“ erinnert natürlich an die mythologische Figur – während Penelope in der Mythologie auf Odysseus wartet, lässt sie aber in deinem Film jemanden vor der Tür warten. Ist es Odysseus?

Vielleicht – wenn man sich die Sandalen ansieht … Aber ehrlich gesagt kam mir der Name „Penelope“ erst, als die Animation schon fertig war. Ich dachte mir, da meine Figur ziemlich oft nackt ist, könnte ein Name aus der griechischen Mythologie ganz gut passen. Ich habe in Wikipedia nachgeschaut, und „Penelope“ fühlte sich wie ein guter Match an.

 

Dein aktueller Film „Nun or Never!“ spielt mit der Doppeldeutigkeit von „nun“ und der Dringlichkeit von „now or never!“. Wie wichtig war dir dieses Wortspiel – und das Ausrufezeichen?

Der Titel des Films – mit Rufzeichen! – wurde mir vor langer Zeit in einer SMS geschickt, von jemandem, den ich damals sehr mochte. Ich fand das clever, und es kam eine Nonne darin vor. Kurz gesagt: Ich habe versucht, mir einen anderen Titel auszudenken, aber mir fiel keiner ein.

 

Was war der Ausgangspunkt für die Geschichte? Und wie bist du auf diesen ungewöhnlichen Schauplatz gekommen? War das Kloster für dich von Anfang an ein feministischer oder subversiver Raum in deinen Überlegungen? War es dir wichtig, weibliche Solidarität und Sisterhood zu zeigen?

Die Idee kam von einem blöden Scherz: Ich sagte, ich gehe morgen ins Kloster und werde Nonne. Der Gedanke ließ mich viele Jahre nicht los – er hat einen gewissen emotionalen Wert beibehalten. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ich diesen Film machen muss, um ein Kapitel in meinem Kopf abzuschließen.

Dann begann ich, die Möglichkeiten zu erforschen, die Nonnen als Figuren und das Kloster als Ort zu sehen. Mein Ausgangspunkt war kein spezielles Thema oder eine Botschaft – ich glaube nicht an so etwas. Ich denke, die Themen, die uns beschäftigen, dringen ohnehin in allem durch, was wir machen. Wenn ich einen Film über das Innenleben eines Wasserkochers machen würde, würden sich vermutlich trotzdem meine Werte und Gedanken darin spiegeln.

Ein Kloster ist ein guter Ausgangspunkt, weil jede:r weiß, wie man sich dort zu verhalten hat – als Filmemacherin kann ich dann mit diesen Erwartungen spielen.

 

Du zeigst das Kloster als einen strengen, uniformen Ort – gleichzeitig als Raum für Freude, Individualität und Freiheit. War dieser Kontrast zentral für deine Vision?

Ja, ich denke, ein Kloster bietet eine herrliche Möglichkeit, mit Vorurteilen zu brechen – aber ich bin da sicher nicht die Erste. In der Popkultur wimmelt es von sündigen Nonnen, gruseligen Nonnen, Nonnen mit High Heels und so weiter. Nonnen sind ein bisschen geheimnisvoll und beflügeln die Fantasie. In meinem Film gibt es sogar einen Mann im Garten – also das volle Nonnen-Klischee-Paket.

Heta Jäälinoja, Nun or Never, 2023

Dein Film zeigt Zärtlichkeit, Solidarität, aber auch Rebellion. Es gibt magische, fast surreale Momente – besonders in den verborgenen Welten „unter den Röcken“. Was bedeuten dir diese geheimen Welten?

Unterschiedliches … Einige kamen durch Songtexte, andere waren Vorschläge von Freund:innen. Ich habe zur Zeit der Produktion Pole Acrobatics trainiert – daher kommen die Pole Dancer.

Tatsächlich habe ich auch eine Welt unter den Röcken vergessen. Ich hatte geplant, einen Bienenstock mit herumfliegenden Bienen unter einem Gewand zu zeigen, aber das habe ich vergessen. Jetzt werde ich für immer an diese fehlenden Bienen denken. Sie wären eine schöne Ergänzung für die Tonspur gewesen.

 

Ein zentrales Thema scheint die innere Transformation durch das Aufbrechen von Routinen zu sein. In allen deinen Filmen stehen Rhythmus, Tempo und Bewegungsabläufe im Zentrum. Als jemand mit Tanzhintergrund – beeinflusst dein körperliches Rhythmusgefühl die Atmosphäre und den Flow deiner filmischen Welten?

Ich würde es gerne glauben, aber ich bin mir nicht sicher, ob es da wirklich einen Zusammenhang gibt. Es gibt viele großartige Animationskünstler:innen, die nicht unbedingt sehr körperlich sind – zumindest soweit ich weiß. Ich habe Rhythmus auch durch die Analyse anderer Animationsfilme gelernt, z. B. von Michaela Pavlatova oder Igor Kovalyov.

Tanzen ist für mich ein Werkzeug, um Körper und Geist in Gang zu halten. Tanzkurse haben mich wahrscheinlich vor einigen Burnouts bewahrt. Für eine Stunde aus dem eigenen Kopf rauszukommen, ist absolut wichtig. Hier in Wien war das auch das Erste, wonach ich gesucht habe. Ich habe in vielerlei Hinsicht mit diesem Hobby zu kämpfen – aber es ist ein Kampf, den ich akzeptiere.

Ich habe beobachtet, dass viele Animationskünstler:innen gerne tanzen und auf der Tanzfläche regelrecht aufblühen. Vielleicht gibt es da tatsächlich eine Verbindung zum Ausdruck von Bewegung. Oder sie freuen sich einfach nur, endlich aus ihren Animationshöhlen rauszukommen und sich zu bewegen.

Heta Jäälinoja, Nun or Never, 2023

Welche Rolle spielen Zufall und das Unerwartete in deinen Filmen, deinen Geschichten und im Produktionsprozess?

Eine große Rolle! Ich tue manchmal so, als hätte ich zu Produktionsbeginn schon alles geplant – aber das stimmt nicht. Wenn ich alleine arbeite, kann ich leichter Dinge offenlassen. Wenn ich mit einem Team arbeite, muss ich deren Bedürfnisse im Blick haben. Es ist sehr frustrierend für Animator:innen, etwas neu zu animieren, nur weil die Regisseur:in eine bessere Idee hatte. Ein Team schränkt diese Freiheit also etwas ein – bringt aber auch neue gute Impulse von außen.

 

„Nun or Never!“ hat weltweit viele Preise gewonnen. Gab es Reaktionen oder Interpretationen vom Publikum, die dich besonders berührt oder überrascht haben?

Die bewegendste Erinnerung ist die internationale Premiere in Annecy. Während des Festivals bekam ich viel Feedback von Studierenden – das war sehr süß. Ich glaube, das vermischt sich in meinem Kopf mit der Gesamtstimmung dort.

In Annecy spürt man die Begeisterung für alle Aspekte der Animation – vielleicht wegen der vielen Studierenden – und ich mag es, dass dort kommerzielle und unabhängige Animation nebeneinander bestehen. „Nun or Never!“ gewann den Publikumspreis, und die amerikanisch-französische Animationskünstlerin Natalie Nourigat erwähnte meinen Film als ihre Favoritin in ihrem Festival-Tagebuchcomic. Sie hat ihn sogar in ihrem Disney-Stil gezeichnet. Das war witzig und schmeichelhaft.

 

Ein Blick in die Zukunft: In deiner Projektbeschreibung für das MQ Residency-Programm hast du erwähnt, Material zu sammeln und zu filtern, um zu sehen, was sich daraus entwickelt. Möchtest du Einblicke, Entdeckungen oder Eindrücke aus diesem Prozess mit uns teilen – vielleicht auch, wie Wien dich beeinflusst hat?

Ich habe ziemlich genau das gemacht, was ich mir vorgenommen hatte. Ich habe es genossen, die Stadt zu entdecken – aber noch mehr, in meinem Zimmer zu bleiben und zu zeichnen. Ich habe ein Stück verloren gegangenes künstlerisches Selbstvertrauen zurückgewonnen und mir Zeit genommen, Förderanträge für zukünftige Projekte zu schreiben.

Das Tricky Women Tricky Realities Festival zu Beginn meiner Residency hat mich sehr inspiriert. Es hatte so eine fröhliche, mitreißende Art, hat aber trotzdem die alarmierenden Zustände der Welt thematisiert – das hat mich zum Nachdenken gebracht, wie ich selbst aktiver werden könnte. Also habe ich ein paar Frühlingsblumen gekauft, die Bienen mögen, und auf meinem Balkon gepflanzt. Mein kleines Gartenstück gehört jetzt zu den Höhepunkten meines Tages.

Für mich ist Wien eine freundliche Stadt, entspannt und gleichzeitig hell. Die Wiener:innen erinnern mich ein wenig an die Finn:innen – freundlich, aber mit einer gewissen Distanziertheit. Vielleicht fühle ich mich deshalb hier so wohl. Ich frage mich, wo die Zeit geblieben ist, und wünsche mir, ich könnte noch drei Monate länger bleiben.

 

Du arbeitest aktuell am Trailer für das Jubiläumsjahr des Tricky Women Tricky Realities Festivals 2026. Kannst du uns einen kleinen Ausblick geben? Oder gibt es schon etwas, das du verraten möchtest?

Nach einigen Tests befindet sich der Trailer gerade in einer Umstrukturierungsphase. Wahrscheinlich werde ich meine ursprüngliche Idee komplett über Bord werfen. Ich denke, es ist am besten, wenn ich im Moment noch nichts verrate.

Linien in Bewegung - Die animierten Welten von MQ Artist-in-Residence Heta Jäälinoja
Di 20.05.2025, 18h | MQ Raum D | Eintritt frei

In diesem Künstlerinnengespräch nimmt uns die finnische Animationskünstlerin Heta Jäälinoja mit auf eine persönliche Reise durch ihr künstlerisches Schaffen. Anhand ausgewählter Kurzfilme – „Omelette“, „Penelope“ und ihrem neuesten Film „Nun or Never!“ – sowie Skizzen und Making-of-Material gibt sie Einblicke in ihren kreativen Prozess, ihre Themen und Inspirationsquellen. Ein besonderer Fokus liegt auf der Entstehung von „Nun or Never!“ Eine Gelegenheit, die Poesie ihres animierten Schaffens hautnah zu erleben.

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