
MQ AiR Hilke Rönnfeldt über Nähe, zwischenmenschliche Komplexität und kreative Prozesse
Hilke Rönnfeldt ist eine deutsche Filmemacherin mit dänisch-isländischen Wurzeln. Ihre Kurzfilme wurden auf internationalen Filmfestivals gezeigt. Im Juni 2025 ist sie im Rahmen des MQ Artist-in-Residence Programms in Kooperation mit VIENNA SHORTS zu Gast im MuseumsQuartier. Anna Roth von VIS hat ein Gespräch mit Hilke Rönnfeldt über ihre filmische Arbeit während ihrer Residency geführt.
Das diesjährige Thema von VIENNA SHORTS lautet Move Closer! Radikale Intimität. Was bedeutet Intimität für dich persönlich und im filmischen Kontext – und was macht sie radikal?
Ich finde, Intimität wird oft als etwas ausschließlich Privates und Persönliches verstanden – was nicht unbedingt der Wahrheit entspricht. Sie in einen gemeinsamen Raum zu überführen, erfordert Mut – das ist für mich ein radikaler Akt. In meinen Filmen nutze ich Intimität oft wie eine zweite Sprache. Da ich nicht sehr dialogorientiert arbeite, würde ich sogar sagen: Sie ist häufig die erste Sprache zwischen meinen Figuren – menschlichen wie nicht-menschlichen.
Du hast den diesjährigen Festivaltrailer gestaltet. Wie bist du konzeptionell an den Trailer herangegangen – gab es einen klaren Impuls oder ein Bild, das alles ausgelöst hat?
Für mich bedeutet Intimität Nähe – und der Ausgangspunkt war die Frage: Wie nah kann man sich eigentlich kommen? So bin ich auf die mikroskopische Ebene gelangt und auf den etwas absurden Gedanken, dass die unbewussteste, aber vielleicht intimste Beziehung, die ich habe, wahrscheinlich die zu den 100 Milliarden Bakterien in meinem Körper ist. Ich persönlich finde das Leben von Bakterien unglaublich faszinierend – aber Intimität mit Bakterien kann natürlich auch andere Folgen haben. Von dort aus habe ich diesen Gedanken weiterverfolgt.
Viele deiner Filme beschäftigen sich mit zwischenmenschlicher Komplexität und Interaktion. Was reizt dich daran immer wieder?
Es ist einfach ein Mysterium, das mir jeden Tag aufs Neue etwas gibt – es kann herzzerreißend sein oder absurd, und trotzdem verstehe ich vieles davon noch immer nicht. Also denke ich, ich muss einfach weiter damit arbeiten.
Inwiefern beeinflussen autobiografische Erfahrungen deine Arbeiten – wenn überhaupt?
Das ist sehr unterschiedlich – ich glaube, es steckt immer etwas Persönliches in meinen Arbeiten, in ganz unterschiedlichem Ausmaß. Musik spielt eine wichtige Rolle in meinem Leben, und das beeinflusst meine Arbeit stark – nicht nur im wörtlichen Sinn, sondern auch in dem Rhythmus, dem sie folgt. Oft fühle ich mich mit Landschaften verbunden, mit Orten, die ich kenne oder kannte und mit denen ich Zeit verbracht habe – dem Land, dem Meer.
Wo verläuft für dich die Grenze zwischen Dokumentarischem und Fiktion?
Für mich persönlich verspüre ich nicht das Bedürfnis, eine klare Grenze zu ziehen – aber ich bin auch eine „Fiction-Filmemacherin“ und genieße hybride Ansätze.
Du warst in den letzten Jahren mit deinen Filmen enorm erfolgreich – A Study of Empathy wurde unter anderem mit dem Goldenen Leoparden in Locarno ausgezeichnet. Wie verändert so eine Auszeichnung deine Arbeitsrealität?
Bei meinen letzten drei Kurzfilmen habe ich den Vertrieb selbst übernommen, also Festivals und Programmverantwortliche kontaktiert – das ist mit sehr viel Arbeit verbunden. Bei A Study war es plötzlich umgekehrt, und am Ende konnten wir sogar eine Vertriebs- und Verkaufsagentur gewinnen. Das bedeutete für mich im Alltag: weniger administrative Aufgaben und dafür mehr Zeit für kreative Arbeit.
Wie wichtig sind Festivals für dich und deine Arbeit überhaupt geworden bzw. welchen Stellenwert hat es für dich, wenn deine Filme – so wie hier in Wien – gezeigt, diskutiert und (im Idealfall) gefeiert werden?
Ich liebe Festivals, weil ich Kurzfilme sehen möchte – da ist immer etwas dabei, das mich überrascht und inspiriert. Die Möglichkeit, anderen Filmschaffenden zuzuhören, wie sie über ihre Arbeit sprechen, und sich mit ihnen auszutauschen und zu vernetzen, gibt mir das Gefühl, Teil einer Community zu sein – denn als Autorin und Regisseurin ist man in manchen Phasen des Schaffensprozesses doch ziemlich allein. Und ich genieße es, über meine Arbeit zu sprechen – manchmal stellt jemand aus dem Publikum einen überraschenden Aspekt in den Raum, über den ich noch nie nachgedacht habe, oder es entsteht eine Verbindung, die mich wirklich berührt. Das finde ich sehr schön, weil ich genau solche Momente auch liebe, wenn ich selbst einen Film sehe.
Wie sieht dein kreativer Prozess aus, wenn du ein neues Filmprojekt entwickelst? Wo beginnt für dich die Arbeit?
Das ist ganz unterschiedlich. Am Anfang steht meistens viel Nachdenken. Wenn eine Idee nicht eine Weile in meinem Kopf bleibt, ist das für mich immer ein Zeichen, noch einmal zu hinterfragen, ob es wirklich die Idee ist, die ich weiterverfolgen will. Oft beginne ich damit, Bilder zu sammeln und sie mit der Idee zu verknüpfen, überlege mir mögliche Besetzungen im Kopf. Das Aufschreiben kommt bei mir erst sehr spät im Prozess.
Du beginnst nun auch, an Langfilmprojekten zu arbeiten. Wie unterscheidet sich dieser Prozess vom Kurzfilm? Und welche Bedeutung hat der Kurzfilm für dich als künstlerisches Medium?
Ich liebe Kurzfilme, sie funktionieren für mich auf ganz andere Weise als ein Langfilm aber ich habe auch andere Erwartungen an sie. Beim Kurzformat habe ich das Gefühl, dass ich mehr experimentieren kann und trotzdem die Aufmerksamkeit des Publikums habe. Aber es ist auch ein sehr präzises und komprimiertes Filmemachen. Für mich unterscheidet sich der Prozess in der Art und Weise, wie ich durch den Film führe und wie ich mehr Erzählung einführe, aber ich stehe noch am Anfang des Schreibens für das Langformat, also werde ich vielleicht auch irgendwann herausfinden, dass alles möglich ist.
Veranstaltungstipp
Talk & Filmscreening: Hilke Rönnfeldt – Landsickness
Mo 23.06., 18h MQ Raum D I Eintritt frei