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Francis Hunger im Gespräch mit Sabine Winkler

Interview

Francis Hunger im Gespräch mit Sabine Winkler

Der Künstler Francis Hunger zeigt seine Videoarbeit DEEP LOVE ALGORITHM in der aktuellen Ausstellung “Mood Swings – Über Stimmungspolitiken, Sentiment Data, Market Sentiments und andere Sentiment Agencies”. Im Gespräch mit der Kuratorin Sabine Winkler erzählt er, warum wir nicht länger angstbesetzt von Algorithmen sprechen sollten.

Der Künstler Francis Hunger zeigt seine Videoarbeit DEEP LOVE ALGORITHM in der aktuellen Ausstellung “Mood Swings – Über Stimmungspolitiken, Sentiment Data, Market Sentiments und andere Sentiment Agencies”. Im Gespräch mit der Kuratorin Sabine Winkler erzählt er, warum wir nicht länger angstbesetzt von Algorithmen sprechen sollten.

Sabine Winkler: In Deinem Videoessay Deep Love Algorithm rekonstruierst Du die Evolution und Geschichte von Datenbanken als Liebesgeschichte zwischen der Cyborg und Schriftstellerin Margret und Jan, einem Journalisten. Margret verkörpert eine Art widerständige Position aus der Geschichte heraus, aber auch die Verbindung zwischen Mensch und Technologie http://getessayeditor.com/blog/15-best-books-of-the-20th-century. Die Beziehung von Mensch / Datenbanken (Technik) als eine zum Scheitern verurteile Liebesgeschichte, ist ein sehr persönlicher Ansatz. Wie kam es dazu bzw. wie ist diese Beziehung strukturiert, warum scheitert sie?

Francis Hunger: Margret ist nicht unbedingt als Cyborg angelegt, es wird eigentlich nur angedeutet, dass sie bereits deutlich länger lebt, als sie alt erscheint. Das schließt nicht aus, dass sie eine Cyborg ist. Ursprungsidee für Margret war, eine Figur zu schaffen, die durch die Zeiten hindurch geht. Eine Figur, die jenseits der Geschichtslosigkeit von Samantha in dem Film Her, oder der Filmfigur Adaline, aktiv Teil von politischen Kämpfen war und weiterhin bleiben will. Das ist ja eines der wesentlichen derzeitigen Probleme der Linken, dass sie geschichtslos in dem Sinne ist, als dass sie das gescheiterte sozialistisch-kommunistische Experiment nicht als solches reflektiert, sondern verschweigt und so tut, als hätte es Stalin nie gegeben.

Mit dieser Hypothek lässt sich allerdings Progressives schwer weiter entwickeln. In einer anderen Arbeit, Die Frau die nie ins Weltall flog (2012), greife ich das Scheitern des kommunistischen Experiments anhand der Geschichte jener Frau auf, die fast die erste Frau im Weltall geworden wäre, dann aber nur Backup-Kosmonautin blieb. Da gab es von mir ein starkes Interesse an dem Komplex der Hochtechnologie im Sowjet-Kommunismus.
Warum die Beziehung zwischen Jan und Margret scheitert? Sie mögen sich, aber sie kommen nicht richtig zueinander. Da bleibt das Begehren im Schwebezustand, nicht formuliert oder nicht ausformuliert. Unerfüllte Liebe ist ein sehr romantisches Motiv, oder?

still aus "Deep Love Algorithm" © Francis Hunger

Ja, über die Sehnsucht kann einerseits das Imaginäre am Laufen gehalten werden ohne von der Realität gestört zu werden, andererseits steigert der Mangel die emotionale Empfindung durch Unerreichbarkeit, woraus sich aber auch pathologische Verhaltensweisen entwickeln können. Welche Analogien bzw. Differenzen beobachtest Du im Bezug auf unsichtbare Verhaltensmuster, die in den Strukturen von menschlichen Beziehungen und von Datenbanken angelegt sind? Welche Rolle spielen unsichtbare Ordnungen in unserem Leben?

Im öffentlichen Diskurs werden Datenbanken häufig als Überwachungsgespenst konstruiert. Oder unter Stichpunkten wie Big Data, Cloud, Artificial Intelligence fortschrittsoptimistisch glorifiziert. Man braucht nur mal Tweets unter dem Hashtag #AI lesen – das ist eine ganz eigene ideologische Form. Das kenne ich aus meiner Kindheit in der DDR, nur unter anderen Vorzeichen. In elektronischen Datenbanken werden vor allem Informationen gespeichert und verarbeitet, die vorbereitend formalisiert wurden. Umgekehrt bedeutet das, dass alles, was nicht formalisierbar ist, auch nicht Teil der Datenbankwirklichkeit werden kann. In Datenbanken sind somit höchstens Teilwirklichkeiten abspeicherbar. Die Graubereiche entschwinden – zum Glück.

Ein Teil des menschlichen Begehrens ist dort trotzdem formulierbar, z.B. durch Sentiment Analysis, bei der mit Hilfe von Algorithmen und Statistik Emails oder Social-Media-Kommunikation auf ihren Stimmungsgehalt (positiv/negativ) untersucht wird. Auch die Formalisierung von Stimmungen anhand von Emojis verweist in diese Richtungen. Weswegen Facebook sehr an deren Ausweitung interessiert war. Und natürlich speichert sich der formalisierbare Teil menschlichen Begehrens in den Banken von Tinder, OKCupid, Grindr oder Parship. Und dann: Menschliches Begehren muss sich nicht allein auf einer Beziehungsebene entfalten, es kann eben auch ein allgemeineres soziales Begehren sein, z.B. das Begehren nach Gerechtigkeit und der Abwesenheit von entfremdender Arbeit. Und beiderlei Begehren bleibt unerfüllt. Das ist in der Figur Margret angelegt.

Dennoch scheint im Moment die Narration, dass Emotionen, Verhaltensweisen, Bewusstsein, der Mensch als Ganzes formalisierbar sei und dass das erstrebenswert sei, an Bedeutung zu gewinnen, wie man das im Kontext von Singularität, Transhumanismus gerade ja auch kontroversiell diskutiert.

Ich halte das für Männerphantasien.

Effizienz und die Notwendigkeit technolgischen Upgradings, um als Mensch konkurrenzfähig zu bleiben, wird u.a. als Begründung und Ziel angeführt. Versprechen, wie der alte Menschheitstraum vom ewigen Leben, werden als in naher Zukunft realisierbare technologische Entwicklung dargestellt. Oder handelt es sich hier um Moden, um die passenden Investitionsstimmungen für jene Start-up-Unternehmen vorzubereiten, die diese Technologien entwickeln?

Der wirtschaftliche Untergang des Realsozialismus im Osten war ein sichtbarer Anzeiger für das Abflauen des Erfolgsrezeptes »fordistische Massenproduktion«. Im Westen ist das Abflauen des Fordismus seit den 1970ern nicht als Zusammenbruch sichtbar geworden, sondern als eine Aneinanderreihung von Krisen, die gleichzeitig mit dem Aufstieg der Mikroelektronik, also dem Anstieg von Rechenkapazitäten einher gingen. In den entwickelten Ländern befindet sich die Wirtschaft in zyklischen Überproduktionskrisen, d.h. es wird so viel produziert, dass sich dafür nur schwer Abnehmer finden. Kapitalismus macht ja nur dann Sinn, wenn Kapital eingesetzt werden kann, um sich zu vermehren, also wenn dieser Selbstzweck der Kapitalbewegung erfüllt wird. Und dies scheint mit der zunehmenden Automatisierung der letzten Jahrzehnte immer mehr an Grenzen zu stoßen. Ich sehe die von Dir angesprochenen Investitionsstimmungen für Start-Ups als hysterisches Geplärre, als Versuch, irgendwo noch eine Lücke zu finden, in der der Einsatz von Kapital, also menschlicher Arbeitskraft und in Maschinen gegossener Arbeitskraft, noch einen Gewinn abwirft.

Unterhaltungsunternehmen wie Whatsapp, Facebook, Instagram scheinen dabei erfolgreich zu sein, und die Lücke in die sie stoßen, ist die menschliche Kommunikation. Twitter hingegen verbrennt seit 10 Jahren Kapital. Andere Technologiefirmen wie SAP, Oracle, Salesforce sind deswegen erfolgreich, weil es Ihnen gelingt, menschliche Arbeit vor allem in Buchhaltung und Management durch maschinelle Abläufe zu ersetzen. Komplementär dazu sehen wir die Clickworker oder Digital Turks – Menschen die bestimmte Aufgaben am Computer durchklicken – wo also Humankapital günstiger ist, um spezifische Aufgaben zu erledigen, als dies durch Rechenmaschinen möglich ist.

Wenn die Erzählung jene ist, dass Algorithmen die bessere Entscheidung oder Auswahl treffen, wie das die Dating-Agenturen versprechen, spiegelt das nicht nur den Glauben an Technologie wider, sondern man verbindet damit auch eine Art Vorstellung von Objektivität und Wahrheit. Was aber eben so nicht der Fall ist; Computerprogramme basieren auf bestimmten Annahmen, die beispielsweise vorhandene Stereotypisierungen reproduzieren können etc. Das heisst man gibt, auch was den emotionalen Bereich betrifft, Handlungskompetenz ab, weil man den Algorithmen möglicherweise die bessere Entscheidung zutraut, glaubt, dass dadurch Risiko minimiert wird. Es besteht die Möglichkeit, dass sich daraus ein Diktat der PartnerInnen Wahl entwickeln könnte. Man könnte von Entmündigung sprechen, die dann als Service oder als Freiheit angepriesen wird.

Man kann das als Verlust an Handlungsoptionen beschreiben, kann es aber auch als ein lustvolles »sich fügen« beschreiben. Jahrhundertelang existierte ein Diktat, dass je nach Kultur die Mutter oder der Vater für die Partnerwahl zuständig waren. Deren Entscheidung musste man sich absolut fügen. Die Schwierigkeit der Vorsortierung wird heute an Parship, Tinder, OKCupid delegiert. Aber danach ist jede/r frei, sich zu entscheiden, ob eine Romanze, eine gemeinsame Nacht oder auch nichts folgt. Man kann jedoch eine Tendenz zur Optimierung unterstellen, die den Zufall begrenzt.

Zur Vorstellung von Objektivität und Wahrheit: Dies ist eine Falle, in die wir laufen, seitdem wir die Statistik (im Sinne der Polizeywissenschaften) erfunden haben, also seit dem 17. Jahrhundert. Die formalisierte Information, ob sie nun in Tabellen, Formularen oder Datenbanken gespeichert ist, erzeugt die Wahrnehmung von Objektivität. Auch das ist Teil einer Männerphantasie, die Abspaltung des Schmutzigen, Kranken, Unscharfen, meinetwegen auch des Metaphysischen und Metapsychischen. Das ist dann alles nicht mehr darstellbar in den Datenbanken von Parship, Tinder und Co. Ich sehe in dieser Unvollständigkeit eine Chance, denn persönliche Beziehungen spielen sich genau in diesen abgespaltenen Bereichen ab.

Also im Bereich des Unberechenbaren?

Ja, im Unberechenbaren. Es hilft vielleicht, sich zu verdeutlichen, was ein Algorithmus ist. x=2*y^2 ist beispielsweise ein Algorithmus, der es erlaubt Punkte in ein Koordinatensystem einzuzeichnen, je nachdem welchen Wert y hat. Hinzu kommt die Möglichkeit, Schwellenwerte abzufragen, also wenn x über 200 ansteigt, tu dies, wenn es unter 200 ist, tu jenes. Das sind Algorithmen. Nur komplizierter mit mehr Variablen. Diese greifen auf statistisch erhobene Daten zurück, je nachdem, was in Parship, Tinder, OKCupid hinterlegt ist. Solange wir angstbesetzt von Algorithmen sprechen, werden wir von dieser Angst beherrscht. Algorithmen sind Menschen gemacht. Und über diese Menschen, die die Algorithmen schreiben und durchsetzen gibt es viel zu wenig Forschung und Auseinandersetzung. Ich unterstelle, dass dies in der Mehrzahl männliche Ingenieurssubjekte sind, mit der einhergehenden Sozialisation. In Deep Love Algorithm gibt es dazu einige gruselige Bilder von Männergruppen in Technologiefirmen.

still aus "Deep Love Algorithm" © Francis Hunger

Ich finde die Forderung der Gruppe AlgorithmWatch spannend, Algorithmen offen zu legen. Das wäre ein Ansatz. Eine Regulation von Algorithmen steht aus, zum Beispiel im Bereich des Hochfrequenz-Handels am Aktienmarkt. Diese Regulation könnte auch ausgebreitet werden, vielleicht auch auf Algorithmen zur PartnerInnen-Wahl.

Hier kommt wieder das Begehren ins Spiel. Einerseits das Begehren nach Technologie als Mittel zur Lösung von Problemen, als Optimierungs- und Effizienzphantasma, als Apparat, der bestimmt, was wir begehren sollen, wie beispielsweise Animationsfiguren als Objekte des Begehrens, die in ihrer Unerreichbarkeit als solche perfekt und weniger traumatisch sind (vielleicht langfristig aber schon). Hier wird Romantik simuliert, der Zustand des Begehrens aufrecht erhalten, die traumatische Realität (im Moment) eliminiert. In welchem Zusammenhang steht nun aber das von Dir angesprochene allgemeine soziale Begehren mit Technologie?

Wir sind Zeugen des Zusammenbruchs der Freiheits-Versprechen bürgerlicher Demokratien: Du kannst sein, wer Du sein willst. Du kannst anonym in der Großstadt leben, du kannst Dich in Deine Wohnung zurückziehen und dort bist Du frei. Oder in Deinem Auto. Diese Trennung von Privatem und Öffentlichkeit kollabiert, indem auch die ehemals privaten Räume der permanenten Datenproduktion unterworfen werden. Diese Datenproduktion kann von den Subjekten lustvoll ausgelebt werden, wie an zahlreichen Twitter-, Instagram- oder Facebookaccounts nachvollziehbar ist. Sie ist aber im Großen und Ganzen ein Zwang, der einerseits versucht, aus jeder Handlung noch eine Konsumptionshandlung zu machen und andererseits versucht, deren Spuren aufzuzeichnen und in Banken in Form von Daten anzulegen.

Neu ist, dass es mit Hilfe von Rechenmaschinen und Algorithmen gelingt, in jene Mikrostrukturen der Zeit und in jene Bereiche menschlicher Kommunikation vorzudringen, die der Kapitalbewegung bisher unzugänglich waren. Uber, Airbnb, SAP, Facebook führen dem Prozess, aus Kapital mehr Kapital zu machen, neue Domänen hinzu. Das aus der Entdeckung der Kohleflöze oder Ölfelder folgende ökologische Desaster ist uns bekannt. Welche Desaster die Entdeckung der kommunikativen Domänen als Rohstoff nach sich ziehen wird, erleben wir, wenn die Generation der Facebook und Instagram-Poster altert.

Das Gespräch führte Sabine Winkler.

MOOD SWINGS – Über Stimmungspolitiken, Sentiment Data, Market Sentiments und andere Sentiment Agencies
31.03. bis 28.05.2017, Di-So 13-20h
frei_raum Q21 exhibition space
Eintritt frei
#freiraumQ21

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