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"Wir sind doch nicht irgendeiner Hybris verfallen."

Interview

"Wir sind doch nicht irgendeiner Hybris verfallen."

Andrea Domesle und Frank Eckhardt kuratieren die neue Ausstellung im freiraum quartier21 INTERNATIONAL, die vielstimmige, multiperspektivische Anmerkungen zum letzten Jahrhundert macht.

Eine Ausstellung über den Ersten Weltkrieg im Jahr 2015. Ist das eine Kritik an unserer „Gedenkjahr-Gesellschaft“?

Frank Eckhardt: Das muss man nicht unbedingt so lesen. Die Vorbereitungen liegen schon eine Weile zurück. Der freiraum quartier 21 INTERNATIONAL ist Teil unserer Wanderausstellung, die im Herbst 2014 in Dresden in der Motorenhalle begonnen hat, und dann noch nach Usti nad Laben, Strasbourg und Kaliningrad - so die jetzige Planung weitergeht. Nie ist dabei das gleiche zu sehen: Wir verändern Künstler- und Werkliste je nach ortsbezogenen Fragen - für Wien liegt ein Fokus auf das Attentat in Sarajevo . Dank der Residency-Möglichkeit in Wien konnten wir viele Künstler einladen Neuproduktionen zu machen.
Andrea Domesle: Es gab ja unzählige Gedenkjahr-Veranstaltungen letztes Jahr, aber die zeitgenössische Perspektive fehlte. Wir zeigen nun eine Gruppenausstellung aus zeitgenössischer Multiperspektive. Als KuratorInnen interessieren uns gesellschaftlich relevante Fragen. Wir greifen Themen auf, die sozusagen in der Luft liegen. Wir sind ja alle Zeitgenossen und wir arbeiten bewusst mit dieser gegenwärtigen Perspektive.

Der Titel der Ausstellung lautet "Anmerkungen zum Beginn des kurzen 20. Jahrhunderts". Was macht das 20. zu einem kurzen Jahrhundert?

Eckhardt: Das kurze 20. Jahrhundert ist ein vom Historiker Eric Hobsbawm geprägter Begriff. Nach seiner These hat das 20. Jahrhundert am 3. August 1914 begonnen und mit dem Zusammenbruch des Ostblocks 1990 geendet.
Oder anders ausgedrückt: Es begann mit dem Ersten Weltkrieg und endete mit der Überwindung seiner Folgen. Dass die bis heute nicht überwunden sind, ist dabei natürlich auch klar. Das war eine These damals und Thesen sind dazu da widerlegt zu werden.

Die künstlerischen Arbeiten, die wir im freiraum sehen werden, sind als „Anmerkungen“ zu verstehen?

Eckhardt: Anmerkungen deshalb, weil wir doch nicht irgendeiner Hybris verfallen zu sagen: Hey! Wir machen hier die Ausstellung, die alles zum Ersten Weltkrieg erklärt. Da gibt es so viele Facetten, es wäre wahnwitzig diesen Anspruch zu erheben.
Domesle: Anmerkungen auch im Sinne von Fußnoten. In denen hat vieles Platz. Dabei spielen die Nationalitäten der KünstlerInnen eine große Rolle. Jeder kommt doch aus einem anderen Land mit anderer Geschichtsschreibung, jeder bringt eine nationale Perspektive mit, die durchaus auch mal divergierend sein kann. Geschichtsschreibung ist immer auch nationalistische Geschichtsschreibung. Insofern sammeln wir Blickwinkel von KünstlerInnen.
Eckhardt: Wir stupsen zum Beispiel das Attentat von Sarajevo von ganz unterschiedlichen Seiten an, aber ein Bild müssen sich die BesucherInnen selber machen. Die Anmerkungen dienen also dazu, den Text entstehen zu lassen und der entsteht im Kopf der BetrachterInnen.
Domesle: Dabei stellt sich eine ganz allgemeine Frage: Was sind unsere kulturellen Prägungen und wie stehen wir heute durch diese Prägungen zu gewissen Themen aus der Geschichte? Wie gehen wir Zeitgenossen mit Geschichte um? Und die KünstlerInnen sind Stellvertreter für uns Zeitgenossen, für den Betrachter. Sie stellen uns Möglichkeiten vor.

Kann man sich als KünstlerIn überhaupt intuitiv mit dem Thema Erster Weltkrieg auseinandersetzen oder wird man am Ende immer zum Forscher / zur Historikerin?

Eckhardt: Sowohl inhaltlich als auch formal gibt es ganz unterschiedliche Wege sich der Thematik zu nähern. Wir haben von sehr sinnlichen Herangehensweisen bis zum sehr konzeptuellen Herangehen alles dabei.

Anmerkungen zum Beginn des kurzen 20. Jahrhunderts
#notesWW1
Eröffnung: Di 02.06., 19h
Dauer: 03.06. bis 16.08., Di-So 13-16h, 16.30-20h
Presseführung: Di 02.06., 10h
Ort: freiraum quartier21 INTERNATIONAL
Eintritt frei

KünstlerInnen:
Kader Attia (FRA), Simone Bader (AUT), Marcin Berdyszak (POL), Nin Brudermann (AUT), Martin Chramosta* (SUI), ETAGE (GER, Stefan Bombaci & Daniela Dietmann)*, Tatiana Fiodorova (MDA), Karen Geyer – Grauton* (SUI), Sabine Groß* (GER), Group San Donato (RUS, Oleg Blyablyas, Alexey Chebykin, Evgeny Umansky), Thibaud Guichard* (FRA), Ruppe Koselleck* (GER), Martin Krenn (AUT), Olga Alia Krulisova & Jana Morkovska* (CZE), Anton Kuznetsov* (RUS), Jerôme Leuba (SUI), François Martig* (BEL), Radenko Milak (BIH), Mladen Miljanovic (BIH), Beate Passow* (GER), Joachim Seinfeld* (GER), Deborah Sengl (AUT), Belle Shafir* (ISR/GER) // *Artist-in-Residence des quartier21/MQ

„Anmerkungen zum Beginn des kurzen 20. Jahrhunderts“ wird in Kooperation mit dem Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres; Motorenhalle. Projektzentrum für zeitgenössische Kunst Dresden und Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung organisiert. Begleitprogramm und Workshops finden in Kooperation mit den Jungen Europäischen Föderalisten statt.

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