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„The more money we have, the better we feel“

Interview

„The more money we have, the better we feel“

Der griechische Philosoph, Wirtschaftswissenschaftler und Künstler Georgios Papadopoulus spricht über die Hintergründe seiner Rauminstallation „Too much money…“.

Der griechische Philosoph, Wirtschaftswissenschaftler und Künstler Georgios Papadopoulus realisierte während seiner Residency im quartier21/MQ im Februar 2014 in Zusammenarbeit mit Artistic Bokeh und Société Réaliste die Rauminstallation „Too much money…“, die noch bis So 17.08. in der Koje von Artistic Bokeh in der Electric Avenue / quartier21 zu sehen ist. Thematisiert wird darin der symbolische Wert künstlerischer Arbeit in ihrer Abhängigkeit durch die Bewertung von Märkten. Gefühlsbedingte Beteiligung an der sozialen Ideologie, an Konsum und an Produktion sollen angesprochen und unterbrochen werden. Dabei wird nicht nur mit der Theorie experimentiert – es wird auch in der Praxis über einen umstrittenen Raum zwischen Bild und Wort verhandelt, zwischen Sprache und Kunst. Das quartier21 sprach im Vorfeld mit dem Künstler über seine Tätigkeiten und Vorhaben hier in Wien.
 

Georgios, Du bist Wirtschaftswissenschaftler, Philosoph und Künstler, wie verbindest Du diese unterschiedlichen Disziplinen miteinander und wie beeinflussen sie sich gegenseitig? Und wie bist Du überhaupt zu dieser interessanten Mischung gekommen?

Dazu muss ich etwas ausholen. Einerseits hat mich meine Unzufriedenheit über die wissenschaftliche Praxis von meiner ursprünglichen Tätigkeit als Wirtschaftswissenschaftler von der Wissenschaft zur Kunst gebracht. Ich fand die Universitäten zu bürokratisch. Anderseits war es aber auch ein Zufall. 2008 bis 2009 arbeitete ich für zwei Jahre als Theoretiker an der Jan Van Eyck Academy in Maastricht und kam so in intensiven Kontakt mit Künstlern und Designern, wodurch ich eine Menge Einblick in die künstlerische Praxis bekam. Anfangs habe ich mich davon nur für meine theoretischen Vorträge und Präsentationen inspirieren lassen, aber im Laufe der Zeit hat die künstlerische Praxis meine Forschung zunehmend beeinflusst, so dass ich mich zu einem künstlerischen Forscher entwickelt habe. Von außen wurde meine eigene Entwicklung durch zwei Dinge wesentlich beeinflusst: Von der sukzessiven Ausformung dessen, was man heute allgemein unter künstlerischer Forschung – artistic research – versteht (1) und von der Finanzkrise in Griechenland. Persönlich gab es zusammengefasst drei entscheidende Momente, die ausschlaggebend dafür waren, dass ich mich verstärkt in eine künstlerische Richtung entwickelte: Einmal mein Interesse an der Beziehung zwischen Wirtschaft und Kunst und darin besonders an der Wirtschaftlichkeit von Künstlern. Dann meine eigene Unzufriedenheit über die eingeschränkte und bürokratische Umgebung für Forscher an den Universitäten und drittens meine Erfahrungen an der Kunsthochschule in Maastricht und der dortige Austausch mit den Künstlern.

Das heißt also die künstlerische Praxis erweitert Deine Möglichkeiten Dich auszudrücken und bestimmte Dinge, bzw. Sachverhalte darzustellen?

Ja, ich kann so viel experimenteller und spekulativer sein und ich muss nicht immer alles begründen und belegen. Ich finde das im wissenschaftlichen Bereich manchmal problematisch, dass man wirklich sehr spezialisiert sein muss um Aussagen treffen zu können, bzw. zu dürfen. Man kann nicht einfach über ein ganzes Paradigma sprechen sondern muss kleine Probleme bearbeiten. Das heißt man verliert oft den Überblick über seinen eigenen wissenschaftlichen Bereich. Diese Art, sich an ganz speziellen Themen abzuarbeiten, ermöglicht es kaum, dem eigenen Forschungsbereich gegenüber kritisch zu sein.

Man muss sich also als Wissenschaftler über das Bearbeiten oder Lösen ganz spezieller und damit kleiner Probleme und Fragestellungen beweisen?

Ja, es interessiert niemanden ob Du Deinen eigenen Forschungsbereich im Ganzen überblickst. Forschung muss sehr organisiert sein und ganz im Sinne der Arbeitsteilung wird erwartet, dass man spezialisiert ist. Bei mir persönlich hat aber die Finanzkrise in Griechenland bewirkt, dass ich begonnen habe größere Frage zu stellen und das war mir mit dieser Art wissenschaftlicher Arbeit nicht möglich. Ich will damit nicht sagen, dass die Wissenschaften in sich selbst nicht kritisch wären, aber grundsätzlich kritisch zu sein und größere Zusammenhänge zu hinterfragen scheint mir nicht ihre Profession.

Interessant. Was waren die „größeren Fragen“, die Du Dir gestellt hast?

Fragen, die mir nicht völlig neu waren. Bereits vor der Krise habe ich begonnen an meinem Buch „Notes Towards a Critique of Money“ (2011) zu schreiben. Darin geht es um die individuelle Beziehung der Menschen zur Wirtschaft und zum Finanzmarkt. Ich hebe dabei die Funktion von Geld in kapitalistischen Systemen und die Konstitution von Subjektivität durch den Markt hervor. Dafür habe ich auf Thesen des Psychoanalytikers Jaques Lacan und des Soziologen und Post-Strukturalisten Jean Baudrillard zurückgegriffen. Während der Krise konnte ich dann deutlich beobachten wie stark diese Beziehung zwischen Mensch und Finanzmarkt ist und dass die ökonomischen Probleme einer Gesellschaft direkten Einfluss auf die einzelnen Personen, die Bildung ihres Begehrens und die Ausbildung ihrer Persönlichkeit haben (2). Es war wirklich spannend zu erleben, dass ich in meinem Buch schon vorher genau diese Dinge gedacht habe, die ich später in der Realität sehen und erfahren konnte. In Anbetracht der Krise konnte ich nun meine zuvor theoretischen Annahmen über das enge Verhältnis von Wirtschaft und Subjektivität sehen und fühlen. Obwohl ich schon vor der Finanzkrise in meinem Heimatland ökonomischen Fragen gegenüber kritisch eingestellt war, hat es mich dennoch überrascht, dass ich plötzlich das theoretische Modell von der „Brutalität der Rationalität“ tatsächlich in der Realität bestätigt fand (3). Das Auftreten der Krise hatte diese Form der Brutalität sozusagen erzwungen. Ich konnte beobachten, wie die Menschen durch den krisenhaften Prozess enttäuscht wurden. Wer die Spielregeln nicht beherrschte, flog aus dem System. Diese Mechanismen zeigen deutlich die negativen Seiten der Ökonomie, bzw. der ökonomischen Logik. Damit will ich nicht sagen, dass ein Leben nach ökonomischen Prinzipien grundsätzlich falsch oder ineffizient wäre, aber es gibt eben auch eine dunkle, negative Seite dieses Systems. In Zeiten des Wohlstands ist diese natürlich weniger ausgeprägt, dafür in Notstandssituationen aber umso mehr. Auf meinen Reisen konnte ich das beispielsweise sehr genau beobachten. Bevor ich nach Wien kam war ich in Dänemark und Deutschland unterwegs. Viel Elend habe ich da nicht gesehen. Klar, es gibt Leute die ausgebeutet werden oder ein hoffnungsloses Leben mit einer niedrigen Lebensqualität führen, aber das ist wirklich nur ein kleiner Teil innerhalb der Gesellschaft dieser Länder. Ich sah dort vielmehr die gute Seite des Finanzsystems. Die Menschen sind glücklich – haben genug zu tun, sind erfüllt und gepflegt. Aber in der Krisensituation wird die ganze Brutalität dieses Systems sichtbar. Dann wird spannenderweise auch deutlich, wie die Menschen die ökonomischen Prinzipien in sich aufnehmen und selbst brutal werden. Das wiederum zeigte mir, dass das System nichts ist, was uns von außen aufgezwungen wird. Vielmehr sind wir alle Agenten des Marktes, weil wir überleben wollen passen wir uns an und werden dadurch dem System selbst gegenüber unsensibel und damit unkritisch. Das lernen wir bereits von klein auf. Wenn sich dann Angst ausbreitet und wir das Gefühl bekommen, Gefahr zu laufen, alles zu verlieren, können wir wirklich sehr brutal werden.

 

Georgios Papadopoulus, Foto: Max Gurresch/Artistic Bokeh

www.artisticbokeh.com

Du meinst also, wir werden darin ausgebildet, innerhalb ökonomischer Systeme zu funktionieren?

Ja. Von Geburt an gehört es zum Prozess unserer Sozialisation auf dem Markt effizient und erfolgreich agieren zu können. D.h. wir erlernen gar nicht so viele andere Handlungsmöglichkeiten, denn unser Leben bedeutet immer eine rituelle Initiation von Konsum und Arbeit um das Preissystem aufrecht zu erhalten. Das heißt wir verinnerlichen dieses System, sodass die Ausbildung unserer Persönlichkeit auf den Begehren basiert, die das Preissystem provoziert (4). Unser Erfolgsgefühl hängt also von ökonomischen Bedingungen ab. Hier gilt der Satz: „the more money we have, the better we feel“. Je teurer die Dinge sind, die wir uns kaufen, bzw. leisten, umso mehr können wir sie genießen. Es gibt da eine Art Wechselwirkung: Indem wir uns den Regeln des Systems hingeben, werten wir unsere Realität auf. Umgekehrt werten unsere ökonomischen Konzepte oder Vorstellungen unsere Aktionen auf. Das heißt die Dinge sind nicht teuer, weil wir glauben, dass sie nicht verfügbar sind, sondern sie sind verfügbar, weil sie teuer sind. Es gibt also auf ökonomischer Ebene Signale auf denen wir unsere Identität aufbauen. Genau das ist das Problem in der Krise. Wenn das System nicht wie gewohnt funktioniert, kommt es zu einer Identitätskrise. Dabei gibt es verschiedene Reaktionen. Manche Menschen schreiben sich selbst die ganze Schuld an der gesellschaftlichen Krise und Armut zu, was in Folge zu Depressionen führen kann. Andere wiederum überidentifizieren sich mit dem sozialen System und beschuldigen alle anderen. Das Problem des Rassismus und des Wachstums extrem rechtsradikaler Zusammenschlüsse in Griechenland beispielsweise wurzelt genau in dieser Form der Überidentifizierung. Arbeitslose, Systemkritiker. politisch Linke, etc. werden nicht mehr geduldet.

Kommen wir zu Deiner Arbeit, der Rauminstallation „Too much money…“, die Du jetzt gerade hier im quartier21/MQ während Deiner Residency realisierst. In welcher Form fließen all diese Gedanken, Themen und Erfahrungen über die wir eben sprachen in Deine künstlerische Arbeit ein?

Dazu muss ich wieder etwas ausholen. Grundsätzlich sehe ich es als problematisch an, dass wirtschafts- oder sozialkritische Äußerungen, die im Kontext künstlerischer Arbeiten artikuliert werden, häufig abgeschwächt wirken, weil in erster Linie die Performance oder das Kunstwerk selbst wahrgenommen werden. Die Rezipienten realisieren vielleicht, dass man ein kritischer Künstler ist und heißen es gut, dass man sich als solcher in Krisenzeiten äußert – „Art should be critical in the times of crises“ – aber mehr auch nicht. Das heißt Sozial- und Wirtschaftskritik hat immer eine andere Bedeutung, wenn sie von einem künstlerischen Standpunkt und mit künstlerischen Mitteln betrieben wird. Das beschäftigt mich wirklich sehr und ist auch Thema in meinen künstlerischen Arbeiten, in denen ich versuche auf andere Weise mit sozialkritischen Themen umzugehen, als ich das in meinen theoretischen Werken tue. Eben sprachen wir also vielmehr über meinen theoretischen Zugang zu Wirtschaftszusammenhängen. Er bildet zwar die Grundlage für meine künstlerischen Arbeiten, ist aber nicht das, was ich als Künstler wirklich mache. Das heißt ich muss zur Antwort oben vielleicht noch ergänzen, dass mich auch mein Interesse an ästhetischen Fragestellungen mit der Zeit näher zur Kunst gebracht hat. Spannend finde ich dabei einerseits Ästhetik als eine Praxis der Wahrnehmung des Schönen, aber auch als eine Praxis des Nachdenkens und damit Eingreifens in genau diese Wahrnehmung des Schönen. Vor diesem Hintergrund versuche ich darüber nachzudenken, wie das Wirtschaftssystem die ästhetischen Phänomene nutzt um wirtschaftliche Werte und soziale Bedeutung zu kreieren. Ich bin dabei weniger kritisch gegenüber dem, wie der Markt funktioniert oder wie er einzelne Individuen beeinflusst. Meine Arbeit ist positiver. Vielmehr versuche ich die Mechanismen und Prozesse der Präsentation des Finanzsystems und seiner Ästhetik zu zeigen, indem ich sie imitiere und dadurch reflektiere. Dabei will ich neutral bleiben und nicht werten. Meine Arbeit fungiert damit viel subtiler. Ich mische mich nicht direkt ein, sondern vollziehe den Akt des Nachdenkens über diese Phänomene. Den Markt und das System als Ganzes attackiere ich nicht direkt. Mich interessiert eher eine genaue Betrachtung des Narrativs, das der Markt über eine bestimmte Ästhetik und deren visuelle Sprache hervorbringt. Das macht einen Teil meiner Arbeit aus. Der andere Teil ist eher von performativem Charakter, indem ich versuche, bestimmte Situationen durchzuspielen und damit etwas sichtbar zu machen. Grundsätzlich habe ich also einen wissenschaftlichen Zugang zum ökonomischen Diskurs, aber indem ich diesen in meinen künstlerischen Arbeiten einer Art Wiederholung unterziehe, kann ich bestimmte Aspekte ins Absurde ziehen oder das Ganze zu ästhetisieren versuchen. Die Grundidee ist immer, den wissenschaftlichen Diskurs um Ökonomie etwas interessanter zu machen und die affektive Seite ökonomischer Prozesse zu zeigen. Auch der wissenschaftliche Diskurs spricht das Subjekt nicht nur auf einer rationalen Ebene an. Mit ästhetischen Mitteln lässt sich zwar weniger erklären, wie die Welt funktioniert, aber man kann die Menschen auf einer emotionalen Ebene erreichen und damit ihre Sehnsüchten ansprechen. Ich versuche also beide Ebenen zu zeigen. Die rationale und die affektive.

Kannst Du uns dazu ein Beispiel aus Deinen Arbeiten geben, wie können wir uns das genau vorstellen? Wie versuchst Du diese Zusammenhänge zu zeigen?

Also Sprache spielt dabei immer eine wichtige Rolle. Weiter arbeite ich sehr häufig mit anderen Künstlern – besonders Performern oder Schauspielern – zusammen und benutze meistens zusätzlich visuelle Elemente. Entweder produziere ich diese selbst oder ich finde sie in der Werbung oder anderen populären Präsentationsformen von Werten oder Sehnsüchten. Wenn ich mit anderen Künstlern und Designern zusammenarbeite, versuchen wir neben der Sprache und wissenschaftlichen Texten ein paralleles Narrativ zu kreieren, das über Bilder entsteht. Ein einziges Argument oder eine These sollen auf unterschiedlichen Ebenen und durch unterschiedliche Perspektiven beleuchtet werden. Über die Bildersprache greifen wir also direkt auf eine affektive Ebene zurück. Bei der Sprache selbst möchte ich zeigen, wie Sprache funktioniert und wie sie die Dinge beschreibt. Das kann wissenschaftlich oder kritisch sein. In Lecture-Performances machen wir uns manchmal auch über eine bestimmte Art von Sprache lustig.

Das heißt also, Du arbeitest sehr oft mit anderen Künstlern zusammen und für „Too much money….“ hast Du Dich ja mit Société Réaliste zusammengetan. Ist das etwas, das Deinen Schaffensprozess ausmacht? Also ist die künstlerische Zusammenarbeit mit anderen konstitutiv für Deine Arbeit?

Ja. Wenn ich mit anderen zusammenarbeite und das mache ich fast immer, bedeutet das, dass wir nicht nur die Performances zusammen machen, sondern dass wir im Vorfeld auch gemeinsam forschen. Zum Beispiel hatte ich in Deutschland ein Forschungsprojekt über die Krise und die Ikonographie des Geldes. Dafür habe ich mit der Graphikdesignerin Neda Firfova, und Jack Henrie Fisher zwei Monate gesessen, gesprochen, geschrieben, das Buch designend und gemeinsam Texte geschrieben. Für mich ist es interessant und wichtig, durch die Perspektive eines anderen künstlerischen Mediums und Forschungsfeldes auf neue Fragen gestoßen zu werden und diese gemeinsam zu diskutieren. So komme ich immer wieder auf neue Ideen und finde neue Argumente. Mit Carsten Lisecki, der ebenfalls nach Wien kommen wird um einen Beitrag zu machen und der Schauspielerin Eleni Oikonomou habe ich auf genaue diese Weise zu den Themen Arbeit und Faulheit gearbeitet. Also nicht nur für die Performance geübt, sondern gemeinsam Texte gelesen und besprochen. Mit anderen zusammenzuarbeiten bedeutet für mich letztlich immer eine gemeinsame Sprache über die Probleme zu finden, die wir gemeinsam bearbeiten. Ich versuche dafür immer KünstlerInnen zu finden, die eine besondere Perspektive auf meine Themen haben. Dadurch kann ich mich selbst weiter entwickeln und eine neue Art von Forschung entwickeln.

Georgios Papadopoulus, Foto: Max Gurresch/Artistic Bokeh

Was wird uns denn in Deiner Installation „Too much money….“ in der Electric Avenue im quartier21 erwarten?

Dazu muss ich nochmal ein wenig ausholen. Grundsätzlich drehen sich alle meine Arbeiten immer um Geld. Das ist mein Hauptinteresse. „Too much money…“ ist auch eine Arbeit über Geld, die sich teilweise aus der Frage nach der Ikonographie des Geldes bzw. der Währung heraus entwickelt hat und daraus, wie über diese Ikonographie wirtschaftlicher Wert und politische Macht zur Sprache gebracht werden. In erster Linie wollen wir damit erforschen, wie darüber der Aufbau einer Gesellschaft funktioniert und das System ihrer Repräsentation. Geld beeinflusst das Preissystem, das Preissystem beeinflusst die Geldwirtschaft. Darüber hinaus hat dieses System einen Einfluss auf unsere Wahrnehmung. Diese von der Marktwelt beeinflusste Wahrnehmung wiederum wirkt sich auf die künstlerische Praxis und Produktion aus. Geldwirtschaft, Wahrnehmungsmechanismen und Kunstproduktion beeinflussen sich also gegenseitig. Die Installation „Too  much money…“ fokussiert genau darauf. Zur Eröffnung werde ich zusätzlich eine Lecture halten, in der ich ganz „traditionell“ die theoretischen Hintergründe zu meiner performativen Arbeit, die ich gemeinsam mit Carsten Lisecki präsentiere, erläutern werde. Carsten wird außerdem seinen Film „Art Accounts Deutsche Bank“ (2013) zeigen, der sich mit dem Prekarität und der Position der Künstler innerhalb des Marktes beschäftigt. Im Moment ein sehr beliebtes Thema. Viele bearbeiten das, aber Carstens Film hat darauf meiner Meinung nach wirklich eine interessante Perspektive. Weiter wird es vielleicht eine kleine Coaching-Session geben, in der wir Künstler darin beraten wollen, wie sie sich auf dem Markt erfolgreicher behaupten können. Das soll natürlich auch ein Witz sein. Alles in Allem wird es zur Eröffnung der Installation verschiedene Veranstaltungen geben, die sich mit der Beziehung von Kreativität und Markt, bzw. wirtschaftlichem Wert und Kultur auseinandersetzen und zeigen wollen, wie die kulturellen Dimensionen von Konsum und Produktion soziale Ideologien formen. Die Hauptfrage, die wir uns dabei stellen wird sein: was ist der Anteil der KünstlerInnen in diesem Prozess?

Das ist wirklich eine interessante Frage. Gibt es dazu denn schon konkrete Erkenntnisse?

Ja, ich habe bereits mit verschiedenen Künstlern zu diesem Thema gearbeitet. Im Januar haben wir ein ähnliches Projekt wie das hier für die transmediale in Berlin realisiert. Dabei ist deutlich geworden, dass Kunst immer einen Mehrwert erzeugt. Denn der Markt spielt immer mit unseren Wünschen und Begierden. Gerade die Kunst, als auch die KünstlerInnen selbst schüren dieses Spiel, weil sie in der Lage sind, Objekten und Orten eine spezielle Anziehungskraft zu verleihen und damit genau diesen kleinen Mehrwert zu generieren, den unser Wirtschaftssystem braucht, um zu funktionieren. Dabei ist es ebenso interessant, wie schwer auszumachen, warum wir eine Sache begehren und eine andere nicht. Kunst hat aber die Möglichkeit, genau mit diesen Dingen zu spielen. Spannend ist dabei das Moment, dass genau diese Wirtschaftsform, die sich auf diese Art von Kunst stützt und sie braucht, so hart und streng mit ihren KünstlerInnen als Produzenten umgeht. Die KünstlerInnen bringt das in die prekäre Situation, dass die Konditionen, sowohl ihre Produktion als auch die Nachfrage nach ihren Werken betreffend von einem System abhängen, beides aber sehr weit auseinanderklafft. Das führt zu einer Hass-Liebe zwischen dem Geldsystem und den Künsten. Genau diese führt aber zu jenem Mehrwert, den sowohl die Kunst als auch die Wirtschaft brauchen.

Würdest Du also sagen, dass die Beziehung zwischen Kunst und Geld unabdingbar ist?

Das kann ich eben nicht so recht überblicken. Das Wirtschaftssystem ist generell ein überrationales System. Alles soll geordnet und effizient sein. Aber ohne Irrationales, ohne Verschwendung und Exzess könnte der Markt nicht existieren. Auch wenn er sich nicht dafür ausspricht und das nicht unterstützt, braucht er diese Elemente. Das ist die dunkle Seite des Marktes. Wir müssen immer ein wenig etwas verlieren, um mehr zu bekommen.

Eine letzte Frage. Du meintest vorhin, dass Du nicht nur Kritik üben willst. Aber würdest Du sagen, dass Du mittels der Kunst Veränderungen oder gar Lösungen erwirken kannst?

Ich möchte darauf in eine etwas andere Richtung antworten. Ich glaube Kunst, gute Kunst, ist deshalb so erfolgreich, weil sie die Regeln des Marktes besser beherrscht als andere. KünstlerInnen und künstlerische Praktiken mit einem ausgeprägten Unternehmergeist verstehen es, die Spielregeln des Marktes sogar auszutricksen. Deshalb faszinieren mich die Mechanismen des Marktes so, sie organisieren, ja beherrschen alles andere auf fast magische Weise und kreieren zusätzlich weiterhin einen Mehrwert. Das heißt, es gibt da etwas, das ihn überleben lässt. Der Markt überlebt in der Tat und die wirtschaftlichen Werte steigen weiterhin. Als Künstler selbst kapitalistischer zu sein, das interessiert mich und ist derzeit ein spannender Moment für die künstlerische Praxis grundsätzlich. Ich denke aber nach wie vor, dass Kunst auch sehr erfolgreich sein kann, wenn sie diese marktwirtschaftlichen Mechanismen völlig ignoriert. Das heißt, die Kunst entwickelt sich derzeit in zwei spannende Extreme. Ein Teil bewegt sich komplett außerhalb des Systems und kann sich dennoch innerhalb des Marktes voll entfalten. Ich denke das Potenzial der Kunst ist genau diese Möglichkeit an der Produktion von Mehrwert teilzuhaben. Die Sehnsucht nach Mehrwert wiederum prägt Identitäten aus. Genau das kann die Wirtschaft ankurbeln oder aber sie komplett stoppen. Das fasziniert mich. 
Um Deine Frage jetzt aber doch noch etwas genauer zu beantworten: Ich denke schon, dass Kunst Veränderungen erwirken kann. Aber ich denke, Veränderung sollte vielmehr auf einer persönlichen Ebene geschehen. Also auf der Ebene unserer ganz eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Darauf habe auch ich meinen Fokus. Und ich meine, da kann Kunst tatsächlich Unterschiede aufzeigen und Alternativen bieten. Schließlich sind unsere ganze Persönlichkeit sowie unsere Beziehung zur Welt immer von Begierde geprägt.

Also dasselbe wie mit Systemen und Identitäten. Ich muss meine Haltung ändern, wenn ich mich einem System nicht mehr anpassen oder aussetzen will?

Ja, genau. Der Markt beeinflusst unsere menschlichen Bedürfnisse immer, indem er bestimmte Wunschbilder erzeugt, von denen wir dann glauben, sie erreichen zu müssen. Die künstlerische Praxis spielt ein ähnliches Spiel. Dieser Zusammenhang ist wirklich interessant. Ich denke genau so kann Kunst künftig tatsächlich funktionieren. Indem sie neue Ängste aber auch Wünsche erzeugt bewirkt sie, dass man eine eigene Identität ausbilden kann, die unabhängig von ökonomischen Systemen Bestand hat.

Vielen Dank!

 

Anmerkungen der Redaktion:

1)            Der Begriff der künstlerischen Forschung – artistic research– verweist auf eine generelle Tendenz in der zeitgenössischen Kunst: Künstlerische Praxis wird nicht nur vom abgeschlossenen Werk her begriffen – also werkästhetisch, sondern von Praktiken und Strategien der künstlerischen Produktion her – also produktionsästhetisch. Der Prozess der Entstehung einer Arbeit rückt in das Zentrum der Aufmerksamkeit. KünstlerInnen nehmen diesen Prozess als Phase der Untersuchung oder Entwicklung einer Arbeit wahr. (Vgl. http://www.aha-projekte.de/HaarmannArtisticResearch.pdf)

2)            Vgl. hierzu Lacans Begriff des Begehrens: ‘Lacans Begriff des „Begehrens’ entspricht in etwa Sigmund Freuds Begriff des ‘Wunsches’, wobei es stets der Wunsch nach dem anderen (dem Objekt klein a), aber auch der Wunsch des (großen) Anderen ist, der das Subjekt bestimmt. In diesem Zusammenhang hat Lacan sich von Alexandre Kojève folgenden Aphorismus ausgeliehen: „Das Begehren des Menschen ist das Begehren des Anderen“, und Arthur Rimbaudzitierend hält er fest: ‘Ich ist ein Anderer.’“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Lacan#Das_begehrende_Subjekt)

3)            Irrwege der Rationalität
„Silvio Vietta skizziert nicht nur die Erfolgsgeschichte der Rationalität. Er ist sich durchaus auch der Irrwege und Gefahren eines einseitigen, dogmatischen Rationalismus bewusst, der vor allem in den kapitalistischen Ländern nur ein Ziel kennt: Effizienz und Steigerung des Bruttonationalprodukts.
Auf diese Gefahren haben schon Theodor W. Adorno und Max Horkheimer hingewiesen, als sie vor der Umwandlung der Rationalität in eine instrumentelle Vernunft warnten, die, in Umkehrung der Forderung von Immanuel Kant, den Menschen nicht als Zweck, sondern als Mittel zum Zweck benützte. Auch der französische Philosoph Michel Foucault sprach von der Nachtseite der menschlichen Vernunft; sie war für ihn eine ‘blutige Macht’“. (http://science.orf.at/stories/1701638/)

4)            Begehren/Begierde
Begierde oder Begehren bezeichnet den seelischen Antrieb zur Behebung eines subjektiven Mangelerlebens mit einem damit verbundenen Aneignungswunsch eines Gegenstandes oder Zustandes, welcher geeignet erscheint, diesen Mangel zu beheben. Richtungsgebend für den seelischen Antrieb sind beim Begehren mehr die damit verbundenen geistigen Faktoren (EmotionenPhantasieWünsche bzw. Ausgleich der dazugehörigen Bedürfnisse), bei der Begierde dagegen mehr die körperlichen (TriebeSchmerzSucht, Hunger, Durst bzw. Ausgleich der dazugehörigen Bedürfnisse). Das zugehörige Verb ist in beiden Fällen begehren.
Der Begriff „Begierde“ wird in Sprache, Dichtung und Literatur häufig als Metapherfür die sexuelle Lust verwendet, während „Begehren“ – unter anderem durch die Begriffsprägung Jacques Lacans („désir“) – vor allem in den Wortschatz der Wissenschaft, v.a. der Psychoanalyse und der feministischen Philosophie (etwa bei Judith Butler) Eingang gefunden hat.
Gabriel Tarde hat das Begehren zu einem Ausgangspunkt soziologischer Theorie genutzt. (http://de.wikipedia.org/wiki/Begierde)

Interview: Hannah Schwegler

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