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Günther Friesinger im Gespräch mit Daniel Theiler

Interview

Günther Friesinger im Gespräch mit Daniel Theiler

Im August und September 2022 war der deutsch-türkische bildende Künstler, Filmemacher und Architekt Daniel Theiler als Q21 Artist-in-Residence zu Gast im MuseumsQuartier Wien. Mit Günther Friesinger (paraflows) sprach er über seinen Aufenthalt und seine Arbeit.

Günther Friesinger: In einem unserer Gespräche hast du mir erzählt, dass du die Zeit als Artist-in-Residence im Q21/MQ auch gewissermaßen als Auszeit siehst. Wie waren die letzten beiden Monate für dich in Wien?

Daniel Theiler: Das hat natürlich nicht geklappt, wie ich mir das vorgenommen hatte (lacht). Durch Corona sind Ausstellungen und Events immer wieder verschoben worden, davon fielen jetzt viele in die Zeit meiner Residenz im MQ. Ich musste in der Zeit hier viel koordinieren, arbeiten und auch reisen - stand also die ganze Zeit unter Strom, aber das gefällt mir auch. Wien passte gut dazu, hier war jeden Tag was los, besonders die regelmäßigen Veranstaltungen in der Secession haben mir gut gefallen. Generell habe ich die Stadt als bunt und offen erlebt. Ich war hier in Wien viel unterwegs, habe die Klubs und Bars besucht, mich mit Freund:innen und Kolleg:innen ausgetauscht, das war sehr fruchtbar, beispielsweise mit Leah Singer und Lee Ranaldo, die zeitglich hier im MQ Residenzkünstler:innen waren. Sie haben mich auch auf das Atomkraftwerk Zwentendorf hingewiesen, das in der Geschichte der Atomkraft in Österreich eine zentrale Rolle spielt. Die Geschichte ist dann auch in meinen Kurzfilm Deus Ex Machina eingeflossen, den ich in meiner Zeit hier gemacht habe.

© Daniel Theiler

Da du die Arbeit gerade ansprichst. Der artvideoloop DEUS-EX-MACHINA ist eine zentrale Arbeit die im Rahmen deines Aufenthaltes im MQ entstand und die du für den Raum D umgesetzt hast. Was steht hinter diesem Titel?

Ausgehend von den Folgen des Klimawandels – eine der größten Herausforderungen unserer Zeit – beschäftige ich mich in der Videoarbeit mit der Energieerzeugung durch Atomkraft, insbesondere der Kernfusion. Durch das zögerliche Handeln der Politik und durch die Pandemien und den Krieg in der Ukraine scheint ein Ausweg aus der Klimakatastrophe in weiter Ferne zu liegen. Der Fusionsreaktor könnte die Lösung für die Klimakrise sein. Praktisch der Deus-ex-Machina-Moment, den wir aus Film oder Theater kennen, wenn sich eine ausweglose Situation plötzlich doch noch zum Guten wendet. Beispielsweise wenn im Film Jurassic Park plötzlich T-Rex auftaucht und die Raptoren weg beißt oder das intelligente Gehirn der Maschinen in Matrix, das gemeinsam mit Neo den bösen Agent Smith bekämpft. Oder ganz klassisch, wenn im Western plötzlich die Kavallerie auftaucht. Es gibt da ein ganzes Genre des Kavallerie-Westerns, auch wenn der Begriff vielleicht ein bisschen unscharf ist. In der Videoarbeit verknüpfe ich die Themen Kernfusion und das Phänomen des Deus-ex-Machina miteinander und verwebe diese beiden mit dem Status Quo der Energieerzeugung, die global größtenteils auf fossilen Brennstoffen wie Kohle und Gas basiert die in konventionellen Kraftwerken verfeuert werden. Dass das nicht nur zur Klimakatastrophe führt, sondern auch zu großen politischen Abhängigkeiten, müssen wir zur Zeit schmerzlich erfahren.

Ich habe dich im Zusammenhang mit deiner Arbeit häufig von „Solutionismus“ sprechen hören. Was ist das?

Der Begriff des Solutionismus entstammt dem Buch „To Save Everything, Click Here“ von Evgeny Morozov. Er kritisiert darin das quasireligiöse Heilsversprechen der Technologiebranche, nachdem sich alle Probleme der Welt in Zukunft durch eine technologische Innovation (und einen Businessplan) lösen lassen. Die Kernfusion ist eben auch ein solches Versprechen: Eine Zukunftstechnologie, die alle Klimaprobleme der fossilen Energieerzeugung und alle Sicherheits- und Nachhaltigkeitsprobleme der Kernenergie mit einem Schlag löst. Morozov hat die Gefahren hinter dieser Denkweise für unsere Demokratien erkannt und fordert einen reflektierten Einsatz von Technologie, um das Digitale mit dem Analogen sinnvoll zu verknüpfen. Neben der Entwicklung der Kernfusion ist es deshalb wichtig, die erneuerbaren Energien auszubauen, nicht nur Windkraft und Photovoltaik zu fördern, sondern auch die viel zu wenig genutzte Erdwärme, also Geothermie. Diese Energieerzeuger sind ja vor allem auch interessant, weil sie dezentral genutzt werden können und im Gegensatz zu einem Kraftwerk die Verbraucher:innen vor Ort direkt mit Energie versorgen können. Das macht das System auch gegen Angriffe von außen sicherer. Wir müssen einfach mehrgleisig fahren und alle Möglichkeiten nutzen, sonst schaffen wir es nicht, den Klimawandel zu stoppen.

Im Raum D, wo deine Arbeit gezeugt wird, gibt es keinen Ton. Wie bist du damit umgegangen?

In meinen Filmen und Videoarbeiten spielt Ton normalerweise eine große Rolle: Er transportiert Emotionen, kreiert und untermauert Stimmungen. Daher habe ich zwei Versionen des Films gemacht – eine Version für den Raum D und eine für Screenings auf der Leinwand im Kino. Die Auseinandersetzung mit der Frage, wie ich die Inhalte ohne Ton transportiere, führte aber auch zu einem für mich fruchtbaren Prozess, wie das so häufig mit „Problemen“ ist. Ich entschied mich neben Untertiteln für meinen Interviewpartner, den Physikprofessor und Direktor des österreichischen Kernfusionsprogramms Prof. Dr. Aumayr, mit Texttafeln zu arbeiten, die zusätzliche Hintergrundinformationen liefern, wodurch die Arbeit in Teilen die Ästhetik eines Lehrfilms der 70er Jahre bekommt. Ich fand das sehr passend - Kernfusion ist schließlich kein Alltagsthema, mit dem wir uns alle auskennen. Und diese Ästhetik habe ich durch den Einsatz von klassischen Filmschnitten verstärkt, die man aus Science-Fiction Filmen aus den 70er und 80er Jahren wie beispielsweise Star Wars kennt. Ich wollte so die Zeitspanne von Forschung und Fortschritt, aber auch Misserfolgen und ständigen Erfolgserwartungen von der Vergangenheit bis ins heute einfangen. Es gibt in der Kernfusion diesen Running Gag: Vor 30 Jahren dachte man, dass die Kernfusion in 30 Jahren Realität wird. Und heute, 30 Jahre später, denkt man immer noch, dass sie in 30 Jahren kommt. Wir schieben die Kernfusion praktisch an der Spitze eines stabilen Zeitstrahls vor uns her, ohne ihr näher zu kommen. Man kann sagen wir erleben ein Déjà-vu, stecken also gewissermaßen in einer Zeitschleife.

Apropos Zeitschleife. In deinem aktuellen Buch „Reconstructing Tomorrow“ beschäftigst du dich in gewissem Sinne auch mit Zeitschleifen, nämlich mit Rekonstruktionen im Architektur-Historizismus. Das Buch dreht sich um Zeitgenössische Kunst an der Schnittstelle zwischen Medienkunst und Architektur. Was fasziniert dich an dieser Thematik als Architekt und auch als Künstler?

Das Rekonstruktions-Thema ist für mich deshalb so spannend, weil es so viele verschiedenen gesellschaftliche Fragen berührt. Es wirft grundsätzliche Fragen nach der vergangenen und gegenwärtigen Gestaltung der Umwelt in politischer, städtebaulicher, denkmalpflegerischer und architektonischer Hinsicht auf. Dann kommen Fragen nach unserer Vorstellung der Gestaltung der Gesellschaft von morgen dazu. Wie wollen wir leben? Welche Visionen für eine zukünftige Gestaltung unserer Umwelt gibt es? Was sind wir bereit dafür aufzugeben oder auch zu vergessen? Unsere gebaute Umwelt hat starke Auswirkungen darauf wie wir unser Leben und unsere Gesellschaft gestalten. Sie hat Auswirkungen auf die Entwicklung der Menschen sowohl auf individueller als auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, womit wir bei psychologischen und soziologischen Aspekten landen. Innerhalb des Architekturdiskurses der Planung unserer Städte ist die Rekonstruktion sehr umstritten. Das Thema polarisiert stark, es gibt Befürworter und Gegner und wenig dazwischen. Rekonstruktionen holen etwas Verlorenes zurück und befriedigen damit das Bedürfnis, eine entstandene Leerstelle wieder zu füllen. Gleichzeitig verhindert die Rekonstruktion auch die Schaffung von etwas Neuem. Ausgangspunkt meiner persönlichen künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema war der Beschluss des Bundestags von 2002, das Berliner Schloss wiederaufzubauen und den Palast der Republik abzureißen. In der Zwischennutzung nach der Asbestsanierung ab 2004 konnte ich den Palast der Republik noch als Volkspalast erleben. Dort fanden Ausstellungen, Parties und Events statt und ich fand den Ort wahnsinnig faszinierend. Hier gab es eine leere Hülle mit nicht mehr als ein paar Zwischendecken, die mit Ideen gefüllt werden wollte – ein Behälter, an dem sich künstlerisch mit der Geschichte auseinandergesetzt wurde und meiner Meinung nach ein Idealer Ort, um sich künstlerisch mit der deutsch-deutschen Geschichte auseinanderzusetzen. Nach dem Abriss klaffte mitten in Mitte eine große Wunde. Und die wurde dann mit der Disneylandkulisse eines barocken Schlosses gefüllt. In meiner künstlerischen Auseinandersetzung mit dieser Tragödie ist dann die Videoarbeit Schinkelland entstanden, was praktisch eine direkte Übersetzung dieses Schinkelschen Disneylands ist. In dem Video marschieren in preußische Uniformen gekleidete, musizierende Performer:innen von einer Rekonstruktion zur nächsten: Vom bereits zu DDR-Zeiten rekonstruierten Kurfürstenpalais bis zum rekonstruierten Schinkelplatz, die Baustelle des Berliner Schlosses im Hintergrund. Später folgten weitere Arbeiten zu dem Thema wie Happenspieß, PdR-Leipzig, Portal IV und Top Down Memory. Sie alle bilden einen zentralen Teil der Publikation Reconstructing Tomorrow. Die Idee des Buches war es, das Thema der Rekonstruktion mit interdisziplinären Beiträgen zu beleuchten und einen künstlerisch-politischen Beitrag zur aktuellen Debatte um Rekonstruktion und Revisionismus zu leisten.

Ein Projekt von dir das zeitgleich zu deiner Residenz am MQ in Chemnitz lief ist das „Bundesministerium für blühende Landschaften“. Was steckt hinter diesem Projekt? Und warum gerade Chemnitz?

Das Bundesministerium für Blühende Landschaften (BMBL) ist schon 2018 im Rahmen eines Festivals in Kitzscher, einer Kleinstadt vor Leipzig, entstanden. Wie zahlreiche andere ostdeutsche Kleinstädte im ländlichen Raum ist der Ort von Bevölkerungsrückgang und Leerstand geprägt. Von den blühenden Landschaften, die Helmut Kohl 1990 für die ostdeutschen Länder versprach, war hier nicht viel zu sehen, also beschloss ich kurzerhand ein Ministerium zu gründen, um die Aufgabe selbst in die Hand zu nehmen. Im Gegensatz zu den übrigen Ministerien, die ihren festen Sitz in Bonn und Berlin haben, ist das BMBL eine nomadische Bundesbehörde. Sie kommt in die Orte und lässt sich dort temporär nieder, um die Menschen beim Transformationsprozess in blühende Landschaften zu begleiten. Meine Aufgabe als Bundesminister für blühende Landschaften ist es gemeinsam mit meinem Team aus engagierten Staatssekretär:innen um Constanze Müller und Simon Korn den Menschen zuzuhören und gemeinsam Ideen und Visionen zu entwickeln, wie diese blühenden Landschaften Realität werden können. Im letzten Jahr fiel dann die Wahl aus mehreren Gründen auf Chemnitz: Zum einen wollten wir sehen, wie sich die Arbeit verändert, wenn wir statt einer sächsischen Kleinstadt in einer Großstadt sind. Das BMBL ist ein junges Ministerium, das selbst viel lernen kann und auch möchte. Hinzu kommt, dass Chemnitz 2025 Kulturhauptstadt Europas sein wird und daher eine gewisse Offenheit für neue Anstoße und Impulse hat – diese Dynamik wollten wir als Ministerium nutzen. Außerdem hat Chemnitz ähnliche Probleme wie Kitzscher. Chemnitz hat seit 1990 fast ein Drittel seiner damaligen Einwohner:innenzahl verloren; nachdem sich die Bevölkerungszahl in den letzten Jahren zuerst stabilisierte, sind die Prognosen bis 2035 wieder rückläufig. Mit Aktionen wie dem gemeinsamen Bau einer blühenden Sitzlandschaft auf zwei Parkplätzen trotzten wir der Straße einen Platz für Gemeinschaft ab und schufen Gelegenheiten zum Zusammenkommen, Trinken und Essen. Daneben gab es die Möglichkeit, konkrete Wünsche für Chemnitz zu äußern, die dann von der Staatssekretärin Stephanie Brittnacher in Form von Comics visualisiert wurden. Schließlich haben wir mit der Verleihung der Helmut-Kohl-Rose an besonders verdienstliche Chemnitzer:innen das Engagement der Menschen für ein blühendes Chemnitz gewürdigt. Auch wenn das BMBL Ende September sein Ladenlokal verlassen hat, bleiben die Sitzlandschaft und die Verknüpfungen mit den zahlreichen Vereinen und Institutionen mit den wir zusammengearbeitet haben, Chemnitz erhalten.

Räume, Medien, öffentlicher Raum, Architektur, Performance, Technologie sind Schlagworte die mir zu dir einfallen. Gibt es so etwas wie einen roten Faden, der sich durch deine künstlerische Arbeit zieht?

Für mich ist das Konzept immer der Kern und Ausgangspunkt meines künstlerischen Schaffens. Im Entstehungsprozess entscheidet dann der gegebene künstlerische Kontext, welche spezifischen Medien zum Einsatz kommen. Ich möchte mich auch nicht auf ein künstlerisches Medium oder Genre festlegen. Mich interessiert die Abwechslung auch zwischen digitalem und analogem Arbeiten. Ein immer wiederkehrendes Thema in meinen Arbeiten ist das Verhältnis von Utopie und sozialer Realität. Die Auseinandersetzung mit Räumen und Atmosphären, Ortsspezifizität und die Einbettung in den historischen und kulturellen Kontext sind die zentralen Ankerpunkte meines Schaffens. In meiner Arbeit versuche ich, alltägliche Gegenstände und Situationen zu transformieren, indem ich sie auf humorvolle Weise in künstlerische Kontexte setze. Ich versuche, gesellschaftliche Konventionen und die Absurdität des Alltags zu entlarven und ihre Einzelteile neu zu konfigurieren. Wichtiger Bestandteil meiner Arbeitsweise sind zudem kollektive Arbeits- und Produktionsweisen. Kunst bedeutet für mich Kommunikation mit der Umwelt, daher sehe ich meine Arbeit eigentlich nie isoliert von der Gesellschaft.

Wohin zieht es dich nach deinem Aufenthalt in Wien? Gibt es schon konkrete neue Projekte die gerade anstehen?

Am Freitag fahre ich zurück nach Berlin. Am Wochenende geht es dann nach Leipzig zur Eröffnung der Ausstellung „Keine große Sache“, die im Rahmen des Lindenow-Festivals stattfindet und von Johan Schäfer kuratiert wird. Dort zeige ich eine kleinformatige Malerei, die hier in meiner Zeit im MQ entstanden ist. Neben der Hektik habe ich trotzdem Zeit für ein bisschen Ruhe gefunden und begonnen, mich mit der Malerei wieder den Ursprüngen meines künstlerischen Schaffens zu widmen. In Berlin habe ich nie so richtig die Zeit dafür gefunden. Hier in Wien konnte ich zeitweise ganz ungestört daran arbeiten. Parallel stelle ich gerade eine Videoarbeit fertig, an der ich schon längere Zeit arbeite und die sich mit den Themen Mobilität und Migration beschäftigt. Daneben arbeite ich am Schnitt eines Kurzfilms, der sich um eine fiktive Sekte dreht, deren Heilsversprechen man nicht ganz so ernst nehmen sollte.

Feature

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Q21 Backstage: paraflows versteht sich als Plattform für digitale Kunst und Kultur und organisiert seit 2006 Festivals, die jeweils unter einem bestimmten Thema stehen wie UTOPIA (2008), URBAN HACKING…

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