WOMEN AGAINST WAR
Frauen gegen den Krieg
16 Geschichten von Frauen aus Russland, die aufgrund ihrer Ansichten und ihres Aktivismus politischer Unterdrückung und staatlicher Gewalt ausgesetzt waren und sind.
Seit dem groß angelegten Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 setzen sich Tausende Frauen in Russland gegen den Krieg und Putins Regime ein und gefährden dadurch ihre eigene Sicherheit. In verschiedenen Regionen, Dörfern und Großstädten, kamen Frauen, von Schülerinnen bis Seniorinnen, zusammen und beteiligten sich an Straßenprotesten, organisierten subversive Kampagnen, um Russlands Kriegsverbrechen aufzudecken, verteilten Antikriegsflugblätter und selbstgedruckte Partisan:innenzeitungen, widersetzten sich der Mobilmachung und halfen ukrainischen Geflüchteten und Vertriebenen aus den besetzten Gebieten. Als Reaktion darauf unternahm der russische Staat Hausdurchsuchungen, konstruierte Strafverfahren, führte Verhaftungen durch und wandte Brutalität und Folter an.
Seit Beginn des Krieges ist die Zahl der Frauen, die aus politischen Gründen inhaftiert und politischer Unterdrückung in Russland ausgesetzt sind, enorm gestiegen:
2024 erreichte der Anteil von Frauen unter den politischen Gefangenen in Russland seinen Höchststand der letzten 14 Jahre – 27 Prozent.
Seit Februar 2022 wurden mehr als 20.000 Menschen wegen Äußerungen gegen Krieg oder Antikriegsaktivismus inhaftiert.
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Memorial sind derzeit mehr als 4.000 Menschen aus politischen Gründen in Russland und in den besetzten ukrainischen Gebieten inhaftiert oder in Untersuchungshaft. Diese Zahl ist eine konservative Schätzung, die tatsächliche Zahl könnte jedoch doppelt so hoch sein.
Derzeit sind mehr als 70 Frauen offiziell als politische Gefangene anerkannt. Nach Angaben von Menschenrechtsexpert:innen sind mehr als 260 Frauen aus politischen Gründen inhaftiert oder in Untersuchungshaft; die tatsächliche Zahl könnte bis zu 1.000 betragen (Quellen: Memorial PZK, OVD-Info).
Dies ist die zweite Ausgabe der Ausstellung „Women Against War“ (Frauen gegen den Krieg), kuratiert von Feminist Anti-War Resistance. Die erste Ausstellung fand 2023 in Paris im öffentlichen Raum statt.
Die Porträts wurden von feministischen Künstler:innen aus Russland und Belarus geschaffen. Viele dieser Künstler:innen sind aufgrund ihrer Antikriegshaltung oder ihres Aktivismus ebenfalls politischer Unterdrückung ausgesetzt. Einige von ihnen müssen anonym bleiben, da die Teilnahme an einer solchen Ausstellung ein ernsthaftes Risiko für ihre Sicherheit darstellt.
Diese Ausstellung wurde mit Unterstützung des Bundesministeriums für Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport (BMWKMS) realisiert.
Die Texte spiegeln ausschließlich die Meinungen der am Projekt beteiligten Künstler:innen und Kurator:innen wider.
Kurator:innen: Lölja Nordic, Feminist Anti-war Resistance, FAR Wien
Künstler:innen: Kristina Akhmadieva, Daria Apakhonchich, artemis, p. b., Dasha Burleshina, Mira Gafar, Alisa Gorshenina, Baba Pasha, Alina Panasenko, Vika Privalova, Maria Rakhmaninova, Alexandra Skochilenko und Künstler:innen, die anonym bleiben möchten.
Designer: HVOII (Anastasiia Shilova), Gala_Gala
Maria Moskalyova war gerade einmal 12 Jahre alt, als sie 2022, kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs, in der Schule eine Anti-Kriegs-Zeichnung anfertigte. Darauf waren russische Raketen zu sehen, die in Richtung Ukraine flogen, neben einer Frau, die ein Kind in einer Hand hielt und mit der anderen Hand versuchte, die Raketen aufzuhalten. Die Schulleitung meldete die Zeichnung der Polizei, und im Laufe des folgenden Jahres begann der russische Geheimdienst (FSB), Druck auf Maria und ihren alleinerziehenden Vater Aleksei Moskalyov auszuüben.
Der FSB überwachte Alekseis Social-Media-Seiten und fand mehrere Anti-Kriegs-Äußerungen, die er gepostet hatte. Sie verhängten eine Geldstrafe gegen ihn wegen „Diskreditierung des russischen Militärs” und Maria wurde dreimal von FSB-Beamt:innen verhört. Später durchsuchte die Polizei ihre Wohnung, verhaftete Aleksei und brachte Maria in ein Waisenhaus. Aleksei wurde während der Razzia und in Haft Gewalt und Folter ausgesetzt. Diesmal klagte ihn das Gericht wegen wiederholter „Diskreditierung des russischen Militärs” an und stellte ihn unter Hausarrest. Mit Hilfe von Evakuierungsaktivist:innen versuchte er zu fliehen und das Land zu verlassen, wurde jedoch in Belarus gefasst, zurückgebracht und zu einem Jahr und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Marias Mutter hatte die Familie vor langer Zeit verlassen und sich geweigert, sich um Maria zu kümmern, aber nach einem öffentlichen Aufschrei erklärte sie sich bereit, ihre Tochter aus dem Waisenhaus zu holen.
Nachdem Aleksejs Strafe abgelaufen war und er aus dem Gefängnis entlassen wurde, konnten er und Maria sich endlich wieder sehen. Allerdings wurden sie weiterhin von den Behörden bedroht und mussten aus Russland fliehen. Im Jahr 2025 warteten Maria und ihr Vater auf Visa im Rahmen des deutschen „humanitären Aufnahmeprogramm“, das jedoch abgelehnt wurde, weil Deutschland plötzlich beschlossen hatte, das Programm für Menschen aus Russland und Belarus, die politischer Verfolgung ausgesetzt waren, auszusetzen. Aufgrund der ernsthaften Gefahr für ihre Freiheit und Sicherheit können sie nicht nach Russland zurückkehren.
„Die Lehrkraft gab uns die Aufgabe, etwas zu zeichnen, um unsere Armee zu unterstützen. Meine Mitschüler:innen begannen, Dinge wie Panzer zu zeichnen. Ich zeichnete einfach das, was ich für notwendig hielt. Wie hätte ich das Töten von Menschen unterstützen können? Ich zeichnete die Wahrheit, weil mir zu diesem Thema nichts anderes einfiel. Als die Polizei unsere Wohnung stürmte, musste mein Vater unsere Katze auf die Straße lassen, weil er wusste, dass sie in der Wohnung verhungern würde, wenn er verhaftet und ich in Pflege genommen würde. Diese Katze war wirklich ein Mitglied unserer Familie. Im Waisenhaus isolierten sie mich von der Außenwelt. Sie erlaubten weder Freiwilligen noch Aktivist:innen, mich zu besuchen. Sie ließen mich nicht telefonieren und gaben mir die Pakete nicht, die mir geschickt worden waren. Ich wusste nicht, wo mein Vater war, was mit ihm geschah und ob ich jemals freikommen würde.“
Kunstwerk eine:r:s anonymen Künstler:in
Alexandra ist Feminist:in, Künstler:in und Queer-Aktivist:in aus Moskau. They wurde nach der großen Antikriegsdemonstration in Moskau am 6. März 2022 festgenommen und zur Polizeistation Brateyevo gebracht, wo they Gewalt erleben musste.
Alexandra gelang es, heimlich eine Audiodatei mit den Drohungen und Beleidigungen aufzunehmen, denen they ausgesetzt war, während they von einem Polizisten geschlagen und gefoltert wurde, und diese an unabhängige Journalist:innen zu schicken.
Die Audioaufnahme verbreitete sich im russischen Internet und weltweit. Die Frauen, die in derselben Polizeistation gefoltert worden waren, schlossen sich später Alexandra an, führten eigene unabhängige Untersuchungen durch und konnten schließlich ihre Folterer identifizieren.
Die BBC veröffentlichte die Ermittlungsergebnisse. Die verantwortlichen Polizeibeamt:innen wurden nie bestraft. Im März 2023 verhängte die EU Sanktionen gegen zwei Polizeibeamte, die an den Folterungen beteiligt waren und von Alexandra und anderen identifiziert worden waren: Oberstleutnant Alexander Fedorinov und Beamter Ivan Ryabov. Im April 2023 gab die Generalstaatsanwaltschaft in Russland jedoch bekannt, dass sie keine Gründe für eine strafrechtliche Untersuchung der Folterungen gefunden habe.
„In einer idealen, utopischen Welt, die vielleicht nie kommen wird – obwohl ich weiterhin darauf hoffe –, würde ich mir wünschen, dass der Mensch, der mich gefoltert hat, seine Augen öffnet und erkennt, was geschieht; dass er Teil dieses Systems ist; und dass die Wahrheit auf meiner Seite steht, nicht auf seiner oder Putins.
Ich möchte, dass er Reue für das empfindet, was er getan hat. Ich möchte, dass er an sich arbeitet. Wir brauchen Einrichtungen, in denen Menschen wie er an sich arbeiten können. Die Polizei sollte als Institution in ihrer derzeitigen Form aufgelöst werden, und die ihr zugewiesenen Mittel sollten stattdessen sozialen Einrichtungen zugeführt werden. Diese Person und ihre Kolleg:innen sollten eine neue Berufsberatung erhalten und Berufe finden, die einen nützlichen und sinnvollen Beitrag zur Welt leisten.
Ich möchte auf keinen Fall, dass sie auf grausame Weise bestraft werden. Ich wünsche mir nur, dass es in Russland keine repressiven Institutionen gäbe, damit wir nicht in andere Länder einmarschieren oder unsere eigenen Bürger:innen foltern würden.“
Kunstwerk von Vika Privalova
Parvinakhan (Parvina) Abuzarova ist eine 33-jährige Instagram-Bloggerin und Modedesignerin für muslimische Frauen. Sie ist außerdem Mutter von zwei Kindern und politische Gefangene. Im Jahr 2023 durchsuchten zehn Polizist:innen und Geheimdienstagent:innen ihre Wohnung in Kasan, Tatarstan, Russland, und teilten ihr mit, dass ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet worden sei. Sie wurde unter Hausarrest gestellt und später wegen „öffentlicher Anstiftung zu Handlungen, die die Staatssicherheit gefährden“ zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, da sie in ihren Social-Media-Beiträgen russische Soldaten zum Desertieren aufgefordert hatte.
Parvinakhans Kinder waren vier und acht Jahre alt, als ihre Mutter inhaftiert wurde. Sie vermutete, dass ihr Ex-Mann, der mit den lokalen Behörden in Verbindung stand, den politischen Druck gegen sie initiiert haben könnte. Parvinakhan sagte, dass die Polizei ihr während des Verhörs mit sechs Jahren Gefängnis gedroht habe. Vor Gericht weigerte sie sich zunächst, sich schuldig zu bekennen, und forderte stattdessen eine Entschädigung für den Schaden, der ihr während der Razzia in ihrem Haus und ihrer anschließenden Verhaftung zugefügt worden war. Es ist noch unklar, welcher Instagram-Beitrag zu ihrer Inhaftierung geführt hat. Kurz darauf löschte Parvinakhan alle Beiträge mit Bezug zum Krieg.
Mit 80.000 Follower:innen auf Instagram teilte Parvinakhan ihre Gedanken zu Religion, Islam, muslimischer Kultur, Psychologie, Wirtschaft und Selbstentwicklung sowie Bilder aus ihrem Leben. Vor Jahren gründete sie ihre eigene Bekleidungsmarke für muslimische Frauen, Parvini One, und eröffnete später eine arabische Sprachschule für Frauen. Parvinakhan interessiert sich seit ihrer frühen Kindheit für Sport und Kampfsportarten. Sie hat in Tatarstan mehrere Meisterschaften im Kyokushin-Karate gewonnen. Außerdem schreibt sie gerne Gedichte.
Seit ihrer Inhaftierung gab es nur wenige öffentliche Informationen über Parvinakhan. Sie wird ihre Strafe voraussichtlich im Februar 2026 verbüßen und dann freigelassen werden.
„Man kann kein erfülltes und glückliches Leben führen, wenn man versucht, das Leben eines anderen zu leben. Denn man hat nur ein Leben: das eigene. Es ist ein Geschenk Gottes. Man muss sich selbst und seine Interessen in den Vordergrund stellen. Man muss unabhängige Entscheidungen treffen. Vor allem darf man keine Angst vor Entscheidungen haben. Dazu gehören auch Entscheidungen, bei denen man riskiert, allein und ohne Geld oder Dach über dem Kopf dazustehen. Man sollte keine Angst haben. Denn Angst schränkt einen als Mensch nur ein.“
Kunstwerk von Mira Gafar
Im Juni 2025 wurde Nadin Geisler, eine 30-jährige Aktivistin, von einem russischen Militärgericht wegen „Hochverrats und Unterstützung des Terrorismus“ zu 22 Jahren Haft verurteilt. Dies ist eine der längsten Haftstrafen, die jemals gegen eine Frau aus politischen Gründen in Russland verhängt wurden. Im Jahr 2022 gründete Nadin in ihrer Heimatstadt Belgorod eine Freiwilligengruppe namens „Army of Beauties“ (Armee der Schönheiten). Die Gruppe sammelte Spenden und versorgte die unter der russischen Besatzung leidende ukrainische Bevölkerung mit Lebensmitteln, Medikamenten und anderer humanitärer Hilfe und half Flüchtenden bei der Evakuierung aus dem Kriegsgebiet. Bald darauf erhielt sie Drohungen wegen ihres Aktivismus, woraufhin sie für ein Jahr nach Georgien floh. Im Februar 2024 kehrte sie jedoch nach Russland zurück und wurde verhaftet.
Der Grund für ihre Verhaftung war ein Instagram-Post von einem gefälschten Account, in dem zu Spenden für die ukrainische Armee aufgerufen wurde. Nadin bestritt jegliche Beteiligung an diesem Account. Vor dem Prozess übte der russische Geheimdienst Druck auf Journalist:innen in Belgorod aus, nicht über den Fall zu berichten. Viele Details des Prozesses sind unbekannt, da er unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Im August berichtete Nadins Rechtsvertretung, dass sich ihr Gesundheitszustand verschlechterte: Sie hatte Probleme mit ihrem Blutdruck, ihrem Herzen und ihrem Sehvermögen und erhielt keine angemessene medizinische Versorgung. Die Gefängnisverwaltung verbot Nadin den Empfang von Büchern und beschlagnahmte alle ihre Kosmetika. Sie durfte nicht am Hofgang teilnehmen. Das russische Militärgericht hat Nadins Eltern außerdem verboten, sie im Gefängnis zu besuchen.
„Man kann Beweise fälschen. Man kann Menschen einschüchtern und Zeug:innen erfinden. Aber man kann die Wahrheit nicht zerstören: Zehntausende Menschen haben unsere Hilfe erhalten, und Millionen weitere waren Zeug:innen davon. Ich habe auf jede erdenkliche und unmögliche Weise für jedes einzelne Menschenleben gekämpft. Ich habe mir den Luxus gegönnt, eine persönliche Meinung zu haben und diese öffentlich zu äußern. Ich habe die Wahrheit gesagt, die sie verbergen wollten. Aber ich bin weder eine Kriminelle noch eine Mörderin, und ich habe kein Blut an meinen Händen. Dennoch forderten sie 27 Jahre Gefängnis für mich. Mein Ziel ist es nicht, frei zu sein – es ist, ein Mensch zu bleiben.“
Kunstwerk von Alexandra Skochilenko, einer Künstlerin, Musikerin und ehemaligen politischen Gefangenen, die zu einer der zentralen Figuren der ersten Ausstellung „Women Against War“ (Frauen gegen den Krieg) wurde, während sie noch in Haft war, weil sie Preisschilder in Supermärkten durch Antikriegsbotschaften ersetzt hatte. Im August 2024 war Alexandra eine der wenigen russischen politischen Gefangenen, die im Rahmen des berüchtigten Gefangenenaustauschs zwischen Russland und den USA freigelassen wurden. Alexandra lebt heute im Exil und hat sich der Ausstellung als Künstlerin angeschlossen.
Kunstwerk von Alexandra Skochilenko
Tatiana ist eine 22-jährige Studentin und Künstlerin aus der sibirischen Stadt Tomsk, die zu neun Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil sie 30 Dollar in die Ukraine gespendet hatte. Am ersten Tag der groß angelegten Invasion Russlands in der Ukraine im Februar 2022 spendete Tatiana zehn Dollar an einen ukrainischen Fonds. Nachdem im April 2022 Berichte über Kriegsverbrechen russischer Soldaten in Butscha aufgetaucht waren, spendete sie weitere 20 Dollar.
Zwei Jahre später durchsuchte die Polizei ihre Wohnung, loggte sich in ihr Smartphone ein und verschaffte sich Zugang zu einem Chat mit Tatianas bester Freundin, die in Dnipro in der Ukraine lebt. Tatiana wurde wegen „Hochverrats“ angeklagt, den sie durch „finanzielle Unterstützung eines ausländischen Staates für Aktivitäten gegen die Sicherheit der Russischen Föderation“ begangen haben soll, und zu neun Jahren Haft verurteilt. Ihr Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, was gegen den Grundsatz der Transparenz im Justizsystem verstößt und Tatianas Rechte verletzt.
Die Einzelheiten von Tatianas Fall wurden der Öffentlichkeit von Ksenia Fadeeva, einer weiteren politischen Gefangenen und Kollegin von Alexei Navalny, bekannt gemacht. Ksenia traf Tatiana zufällig in einer Gefängniszelle und teilte Tatianas Geschichte anschließend der Presse und Menschenrechts-NGOs mit. Tatianas Fall macht deutlich, dass in Russland viele Menschen aus politischen Gründen inhaftiert sind, die Öffentlichkeit jedoch nichts von ihren Situationen weiß. Aus diesem Grund betonen Menschenrechtsorganisationen in Russland immer wieder, dass die tatsächliche Zahl der politischen Gefangenen in Russland viel höher ist als derzeit angenommen. Im Gefängnis unterhält Tatiana einen regen Briefwechsel und erstellt Zeichnungen im Anime-Stil.
„Ich ging zurück in meine Zelle und verspürte eine überwältigende Freude – nur neun Jahre!* Meine Zellengenoss:innen sahen mich an und sagten, dass es vielleicht am wichtigsten sei, dass ich glücklich bin. Dennoch sind neun Jahre eine sehr lange Zeit. Meine Geschichte ist in der heutigen Realität zu etwas Alltäglichem geworden. Meine Selbstgespräche und meine Zeichnungen sind wie ein Denkmal für diese Zeit. Ich möchte alles bewahren, damit ich, wenn dieser Horror vorbei ist, meine Gedanken noch einmal lesen und meine Erinnerungen wieder aufleben lassen kann.“
*Hochverrat ist in Russland ein Verbrechen, das mit 12 bis 20 Jahren Gefängnis bestraft wird.
Kunstwerk von artemis
Lyubov ist eine Anarchistin und Antifaschistin aus Tschita in der Region Transbaikalien (Zabaykalsky Krai) in Russland, die zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Im Jahr 2022 wurden sie und der befreundete Alexander Snezhkov (auch bekannt als Snezhok) verhaftet und wegen „Anstiftung zum Extremismus“ angeklagt, weil sie Anti-Kriegs-Graffitis mit der Aufschrift „Death to the Regime“ (Tod dem Regime) geschaffen und Telegram-Kanäle verwaltet hatten, auf denen Informationen über Anti-Kriegs-Proteste und Guerilla-Aktionen veröffentlicht wurden. Zu diesem Zeitpunkt war sie erst 16 Jahre alt und besuchte die neunte Klasse der Schule.
Beide wurden später auf die Terrorist:innenliste der russischen Behörden gesetzt. Lyubov musste die High School in einer Jugendstrafanstalt abschließen, wo sie ihre Abschlussprüfungen mit Bestnoten ablegte. Im Sommer 2025 wurde sie in ein Erwachsenengefängnis verlegt. In ihren Briefen aus dem Gefängnis schreibt Lyubov, dass sie ihre Freizeit mit Lesen und Schreiben verbringt und versucht, trotz allem hoffnungsvoll zu bleiben.
„Heute entscheide ich mich dafür, meinen Prinzipien, Vernunft und Liebe, zu folgen. Heute entscheide ich mich dafür, den Himmel hinter den Gefängnisgittern zu sehen. Heute entscheide ich mich dafür, die Menschen um mich herum zu verstehen und zu akzeptieren. Heute entscheide ich mich dafür, keine Angst zu haben. Morgen wird die Welt mir mit Wärme begegnen, und das ‚große Leben’ wird mich ermutigen, an meinem unerfüllten Traum festzuhalten. Ich danke allen, die sich wie ich für das Licht entscheiden. Es hat sich gelohnt; ich weiß mit Sicherheit, dass nicht alles umsonst war. Ich bin mir sicher, dass Snezhok genauso denkt. Keiner von uns wird jemals vom Weg abkommen oder sich verirren. Übermorgen beginnt der Herbst. Begrüßen wir ihn mit einem Lächeln. Es werden schwere Zeiten folgen, aber wir werden ein Feuer in uns brennen haben, das uns warm hält.“
Kunstwerk eine:r:s anonymen Künstler:in
Oksana Baulina, eine russische Journalistin und Korrespondentin für The Insider, wurde am 23. März 2022 in der Ukraine getötet. Sie starb während eines Einsatzes, als sie die Folgen des Bombenangriffs auf ein Einkaufszentrum in Kiew dokumentierte.
Sie begann ihre journalistische Karriere bei den russischen Ausgaben von Mode- und Lifestyle-Magazinen wie InStyle, Time Out und Glamour. 2013 schloss sie sich dem Team der „Anti-Corruption Foundation“ (ACF; Stiftung für Korruptionsbekämpfung) von Alexei Navalny an und wurde später Chefredakteurin des YouTube-Kanals „Navalny Live“. Oksana musste aus Russland fliehen, nachdem die ACF als „extremistische Organisation“ verboten worden war. Im November 2021 begann sie für The Insider zu arbeiten.
Nach Beginn des russischen Angriffskriegs berichtete Oksana Baulina mehrfach aus Lwiw und Kiew. Ihr letzter Artikel, „Russia in Captivity” (Russland in Gefangenschaft), wurde nach ihrem Tod veröffentlicht. Darin interviewte sie russische Kriegsgefangene und fragte sie, wie sie in die Ukraine gekommen waren, wie sie gefangen genommen worden waren und wie sie sich ihre Zukunft vorstellten.
„Meine Träume, meine Zukunft und mein Wohlbefinden wurden mir nicht gestern oder heute geraubt. Sie wurden mir – und euch, uns allen – durch die Schachzüge des Kremls, gefälschte Wahlen, diskriminierende und kannibalistische Gesetze, Intransparenz und Gesetzlosigkeit in den Gerichten, politische Urteile, die Annexion der Krim, Propaganda im Stil Goebbels', Epidemien des Krymnashismus [„Die Krim gehört uns“-Ismus – Anm. d. Red]. Durch totale, extreme und endlose Lügen. Sinnlos und gnadenlos. Ich hoffe, dass zumindest ein Teil der Bevölkerung jetzt die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge versteht. Die hässliche, neo-feudale Struktur muss zusammenbrechen. Es ist schade, dass sie mich oder euch unter ihren Trümmern begraben wird. Aber wie ihr wisst, ist es besser, ein Ende mit Schrecken zu haben als Schrecken ohne Ende.“
Kunstwerk von Daria Apakhonchich
Olga Nazarenko war Aktivistin, Professorin und Lehrerin an der Staatlichen Medizinischen Akademie in Ivanovo, Russland. Seit 2018 nahm sie an Straßenprotesten zur Unterstützung der Ukraine teil. Nach dem Ausbruch des Krieges im Jahr 2022 begann sie, jede Woche alleine gegen den Krieg zu protestieren.
Gegen Olga wurden fünf Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten eingeleitet; eine hohe Geldstrafe und Sozialdienststunden waren die Konsequenz. Später wurde ihre Wohnung mehrmals von der Polizei durchsucht, und es wurden zwei Strafverfahren gegen sie eingeleitet: eines wegen „wiederholter Diskreditierung der russischen Armee” und eines wegen wiederholter Teilnahme an Straßenprotesten. Infolgedessen verlor sie ihre Stelle an der Akademie. Während der Ermittlungen wurde ihr verboten, das Land zu verlassen, und ihr Fall wurde als geheim eingestuft. Olga wurde auf der Straße körperlich angegriffen, und ihr Briefkasten mit Beleidigungen wegen ihres Antikriegsaktivismus beschmiert.
Olga starb am 20. Oktober 2023 im Krankenhaus an den Folgen mehrerer schwerer Verletzungen, die sie unter ungeklärten Umständen in der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober erlitten hatte. Trotz wiederholter Anträge wurde Olgas Rechtsvertretung der Zugang zu den vollständigen Polizei- und Krankenakten verweigert und ihr wurde mitgeteilt, dass Olga nach einem „Unfall” infolge eines Sturzes aus großer Höhe gefunden und ins Krankenhaus gebracht worden sei. Olgas Freund:innen vermuten, dass sie möglicherweise eine Protestaktion zu Putins Geburtstag am 7. Oktober geplant hatte, bei der sie vielleicht ein Transparent von einem hohen Ort aus hängen wollte. Angesichts der Tatsache, dass Olga zuvor Opfer körperlicher Angriffe geworden war, unter polizeilicher Überwachung stand und ihr Tod nicht untersucht worden war, schließen ihre Freund:innen und ihre Rechtsvertretung jedoch nicht aus, dass es sich möglicherweise um eine gezielte Gewalttat handelt. Sie sind sich sicher, dass Olga keinen Selbstmordversuch unternommen haben kann.
„Ich weiß, dass ich Probleme bekommen könnte, aber ich habe keine Angst. Was heute in Russland und der Ukraine geschieht, ist viel schlimmer als das, was mir widerfährt. Ich kann nicht schweigen, sonst könnte ich mich selbst nicht mehr in die Augen sehen. Meine Kindheit fiel mit der Perestroika zusammen. Als erstmals Diskussionen und Veröffentlichungen über Stalins Repressionen aufkamen, war ich 15 Jahre alt und fragte mich immer wieder: Warum haben alle geschwiegen? Ich fragte meinen Großvater danach, und er war sehr verlegen. Ich möchte nicht, dass meine Enkelkinder mir Jahre später eine ähnliche Frage stellen. Ich möchte vielmehr sicherstellen, dass ich sie beantworten kann.“
Kunstwerk von Maria Rakhmaninova
Elena Osipova ist eine 80-jährige Künstlerin und Aktivistin, die seit 2002 an Protesten und Oppositionsdemonstrationen in Sankt Petersburg teilnimmt. Sie wurde lokal bekannt, weil sie bei jedem Protest mit großen, wunderschön gestalteten Plakaten erschien, die sie für jeden Anlass selbst gezeichnet hatte. Irgendwann begannen die Menschen, sie als „moralischen Kompass der Stadt” zu bezeichnen.
Im Laufe der Jahre hat Elena gegen Ungerechtigkeit, Krieg, Korruption und staatliche Gewalt protestiert. Für ihre Straßenaktionen wurde sie mehrfach verhaftet und mit Geldstrafen belegt. Irgendwann hörte die Polizei auf, sie zur Wache mitzunehmen; stattdessen störte sie ihre Proteste, indem sie sie aus dem Demonstrationsbereich wegfuhr und dann gehen ließ. Elena vermutet, dass die Polizei sie wegen ihres schlechten Gesundheitszustands und weil sie ihre Proteste seit vielen Jahren miterlebt hat, nicht festnimmt. Es ist außergewöhnlich, dass eine Person seit 2022 in Russland offen an solchen Straßenprotesten teilnimmt und nicht festgenommen wird.
Seit Beginn des Krieges in der Ukraine malt Elena Anti-Kriegs-Plakate und protestiert alleine auf den Straßen von Sankt Petersburg. Sie wurde mehrfach verfolgt und körperlich angegriffen, wobei unbekannte Personen ihr die Plakate aus den Händen rissen.
Im Jahr 2023 erlitt Elena einen Schlaganfall. Sobald sie sich erholt hatte, ging sie am „Tag Russlands” (nationaler Feiertag zur Feier der staatlichen Souveränität) mit einem Banner auf die Straße, auf dem stand: „Russland muss sich von einer schweren Krankheit erholen.”
„Ich werde so lange protestieren, wie ich körperlich dazu in der Lage bin. Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt. Ich möchte diejenigen aufklären, die nicht verstehen, was vor sich geht. Seit meinem Abschluss an der Kunstakademie habe ich mein ganzes Leben lang als Lehrerin gearbeitet. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich mich engagiere. Im Jahr 2002 habe ich aufgehört zu schweigen. Meine Grundüberzeugung ist, dass die schlimmsten und schrecklichsten Dinge passieren, wenn Menschen schweigen.“
Kunstwerk von p. b.
Evgenia (geb. 1985) ist Theaterregisseurin, Dramatikerin und Dichterin. Im Jahr 2023 wurden sie und ihre Kollegin Svetlana Petriychuk in Moskau wegen „Rechtfertigung von Terrorismus“ im Zusammenhang mit ihrem Dokumentarstück „Finist, der helle Falke“ aus dem Jahr 2020 verhaftet. Im Jahr 2024 wurden sie zu jeweils sechs Jahren Haft verurteilt.
Das Dokumentarstück basiert auf wahren Geschichten von Frauen aus Russland, Kasachstan und Usbekistan, die nach Syrien gingen, um Mitglieder bewaffneter Gruppen zu heiraten, und später wegen „Unterstützung des Terrorismus“ verurteilt wurden. Das von der Kritik gefeierte Stück wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter der Goldenen Maske, Russlands renommiertester Theaterpreis, der teilweise staatlich finanziert und staatlich verwaltet wird.
„Finist, der helle Falke“ deckt die Gefahren der Online-Rekrutierung durch den IS auf, verurteilt den Terrorismus und dient als Warnung für diejenigen, die davon betroffen sein könnten. In einem politisch motivierten Prozess gegen Evgenia und Svetlana bezeichneten die russischen Behörden das Stück jedoch als Rechtfertigung des Terrorismus.
Evgenia hat sich seit Beginn des Krieges in der Ukraine öffentlich gegen diesen ausgesprochen. Im Jahr 2022 wurde sie wegen einer Anti-Kriegs-Straßenprotestaktion verhaftet und elf Tage lang festgehalten. Sie veröffentlichte regelmäßig Anti-Kriegs-Gedichte auf Facebook, was ihr negative Aufmerksamkeit seitens der Behörden und Drohungen von russischen Rechtsextremisten einbrachte.
Während ihrer Haft versuchte Evgenia, ihre Theaterarbeit fortzusetzen, wurde jedoch bald von der Gefängnisverwaltung daran gehindert. Evgenia ist Mutter und hat fünf Jahre vor ihrer Verhaftung zwei Kinder adoptiert. Beide Kinder haben gesundheitliche Probleme und sind durch die anhaltende Trennung traumatisiert.
„Wir dürfen keine Bücher erhalten, und mir ist es untersagt, hier in irgendeiner Form meinen Beruf auszuüben. Aber all das kann ich überstehen. Nicht richtig essen und schlafen zu können und keinen Zugang zu meinen Medikamenten zu haben, könnte jedoch wirklich schlimme Folgen für mich haben, und das möchte ich wirklich nicht. Gibt es nicht mächtigere Feinde des russischen Staates als eine 90-jährige Dame, zwei kranke Waisenkinder und zwei Frauen in schlechter gesundheitlicher Verfassung? Können Sie nicht jemand anderen finden, gegen den Sie kämpfen können? Ist es nicht an der Zeit, damit aufzuhören? Einige der Verantwortlichen sind Beamte, die zumindest ein gewisses Maß an Moral haben sollten. Ich bitte Sie, Euer Ehren, damit aufzuhören.“
Kunstwerk von Alisa Gorshenina
Maria (geb. 1978) ist eine politische Gefangene, Aktivistin und Journalistin aus Barnaul sowie Mutter von zwei Kindern. Im Jahr 2023 wurde sie wegen „Verbreitung von Fake News über das russische Militär“ zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil sie einen Anti-Kriegs-Beitrag über die Bombardierung des Drama-Theaters in Mariupol in der Ukraine veröffentlicht hatte, bei der über 300 ukrainische Zivilist:innen ums Leben kamen. Seit April 2022 befindet sie sich in Haft.
Im September 2022 schnitt sich Maria erstmals in der Strafzelle die Venen auf, um gegen die Folter und die Strafen durch die Gefängnisverwaltung zu protestieren. Später wurde ihre Strafe in Hausarrest umgewandelt. Da Maria jedoch zu Hause von ihrem Ehemann misshandelt wurde, floh sie zur Polizeistation und bat darum, wieder in die Haftanstalt zurückgebracht zu werden.
Später wurde ein zweites Strafverfahren gegen Maria eröffnet, in dem sie beschuldigt wurde, zwei Gefängniswärter angegriffen zu haben, als diese sie zur Disziplinarkommission des Gefängnisses begleiteten. Maria plädierte auf nicht schuldig und wurde zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt.
Seit Beginn ihrer Haft hatte Maria sich aktiv gegen den systematischen Machtmissbrauch, die Folter und die Gewalt gewehrt, denen sie und andere Gefangene durch das Gefängnispersonal ausgesetzt waren, und diese gemeldet. Nachdem sie ständigem Druck ausgesetzt war, erlitt Maria im August 2025 einen Nervenzusammenbruch und unternahm drei Selbstmordversuche. Sie wurde ins Krankenhaus eingeliefert und anschließend wieder in die Haftanstalt überstellt.
Im September 2025 wurde ein drittes Strafverfahren gegen Maria eingeleitet, aber die Einzelheiten der Anschuldigungen sind noch unbekannt. Maria ermutigt Menschen, ihr und anderen politischen Gefangenen zu schreiben; sie sagt, dass diese Unterstützung ihr hilft, weiterzumachen.
„Ich hätte im Herbst frei sein können, wenn ich mich selbst verraten hätte. Ein Schuldbekenntnis und die Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden hätten mir eine Bewährungsstrafe garantiert. Es kann also viel einfacher sein, aus dem Gefängnis zu kommen, als vor sich selbst zu fliehen. Bleibt stark! Diktaturen sind kurz vor ihrem Zusammenbruch am stärksten.“
Kunstwerk eine:r:s anonymen Künstler:in
Svetlana (geb. 1980) ist Dramatikerin, Lehrerin, Theater- und Filmregisseurin. Im Jahr 2023 wurden sie und ihre Kollegin Evgenia Berkovich in Moskau unter dem Vorwurf festgenommen, in ihrer Theaterproduktion „Finist, der helle Falke“ aus dem Jahr 2020 Terrorismus gerechtfertigt zu haben. Im Jahr 2024 wurden beide zu sechs Jahren Haft verurteilt.
Das Theaterstück basiert auf wahren Geschichten von Frauen aus Russland, Kasachstan und Usbekistan, die nach Syrien gingen, um Mitglieder bewaffneter Gruppen zu heiraten, und später wegen „Unterstützung des Terrorismus“ verurteilt wurden. Das von der Kritik gefeierte Stück wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter der Goldene Maske, Russlands renommiertester Theaterpreis, der teilweise staatlich finanziert und staatlich verwaltet wird.
„Finist, der helle Falke“ deckt die Gefahren der Online-Rekrutierung durch den IS auf, verurteilt den Terrorismus und dient als Warnung für diejenigen, die davon betroffen sein könnten. In einem politisch motivierten Prozess gegen Evgenia und Svetlana bezeichneten die russischen Behörden das Stück jedoch als Rechtfertigung des Terrorismus.
Svetlana glaubt, dass ihre künstlerische Arbeit den Menschen helfen könnte, komplexe soziale Probleme zu verstehen und Tragödien zu verhindern. Vor ihrer Inhaftierung war sie die Hauptbezugsperson für ihre älteren Eltern. Sie ist eine hingebungsvolle Tochter und Ehefrau. Seit ihrer Verhaftung ist ihr Mann allein für die Finanzierung ihrer Verteidigung und die Unterstützung ihrer Familie verantwortlich.
Svetlana hat harte Haftbedingungen ertragen müssen, darunter die Zwangsarbeit von bis zu 50 Stunden pro Woche.
„Wir wurden wegen unserer Kunst zu sechs Jahren Haft verurteilt. Ich bin die erste Schriftstellerin seit 1965, die wegen eines Kunstwerks inhaftiert wurde, als die Verurteilungen noch mit der Verteilung zusammenhing. Seit den 1930er Jahren gab es keine Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit Theaterstücken mehr. Hier geht es weder um das Gesetz noch um die Wahrheit. In dieser Hinsicht fällt es mir leichter, denn in den letzten 20 Monaten habe ich kein einziges Mal gelogen. Die Wahrheit zu sagen, fühlt sich gut und leicht an. Am Ende siegen immer Wahrheit und Gerechtigkeit.“
Kunstwerk von Kristina Akhmadieva
Lyudmila (geb. 1967) ist Künstlerin und politische Gefangene, die zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Sie und ihr Ehemann Alexander wurden verhaftet und wegen „Vandalismus“ und „Verbreitung falscher Informationen über das russische Militär“ angeklagt.
Dem Paar wurde vorgeworfen, in den sozialen Medien Anti-Kriegs-Botschaften über russische Kriegsverbrechen in der Ukraine gepostet und in verschiedenen Dörfern Anti-Kriegs-Graffitis mit Slogans wie „Frieden für die Ukraine“, „Putin ist Krieg“ und „Putler kaputt!“ angebracht zu haben. Lyudmila und Alexander sagten, dass es ihnen seit Beginn des Angriffskriegs äußerst wichtig gewesen sei, Informationen zu verbreiten und die Zivilgesellschaft und Menschen in ihrem Umfeld für den Krieg und die tatsächlichen Geschehnisse zu sensibilisieren.
Seit Beginn ihrer Inhaftierung ist Lyudmila psychischem Druck und Folter ausgesetzt. Sie wurde mehrfach unter erfundenen Vorwänden in einer Strafzelle isoliert. In ihrer Zelle litt sie unter mangelnder Heizung und niedrigen Temperaturen und wurde trotz ihrer Rückenschmerzen und anderer gesundheitlicher Probleme zu schwerer Arbeit gezwungen. Im Jahr 2024 wurden ihre Haftbedingungen noch weiter verschärft.
Im Jahr 2025 wurde ein zweites Strafverfahren gegen Lyudmila eingeleitet. Sie handelte in Notwehr, als sie von einer anderen Gefangenen angegriffen wurde, die sie schlug und würgte. Am Ende wurde jedoch Lyudmila bestraft. Sie glaubt, dass dies alles eine Provokation der Gefängnisverwaltung war: Eine andere Gefangene wurde in ihre Zelle gesteckt, um einen Streit anzuzetteln, damit sie später bestraft werden konnte.
Lyudmila verbringt immer noch viel Zeit mit Zeichnen, um ihre Erfahrungen und das, was sie im Gefängnis erdulden muss, zu dokumentieren.
„Ich glaube nicht, dass diese Videos gefälscht sind. Wenn ich Drohnenaufnahmen von Charkiw sehe, das bombardiert wurde, dann ist das für mich Charkiw, das bombardiert wurde, und es gibt keine andere Interpretation dafür. Die Ursachen dieses Krieges, seine Folgen – ich weiß alles darüber. Und ja, ich habe Angst - als Frau, als freier und ehrlicher Mensch, denn Krieg ist das Schlimmste, was Menschen erfunden haben.“
Kunstwerk von Alina Panasenko
Ramilya Galim (Saitova), eine 59-jährige politische Gefangene, Baschkort-Aktivistin und Unternehmerin aus Baschkortostan (einer Republik in Russland), wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Im Jahr 2023 durchsuchten Polizei und Geheimdienst ihre Wohnung und beschlagnahmten ihr Telefon, schriftliche Notizen und elektronische Geräte. Sie wurde wegen öffentlicher Anstiftung zu Handlungen „gegen die Staatssicherheit“ angeklagt, nachdem sie eine Anti-Kriegs-Videobotschaft veröffentlicht hatte. In dem Video wandte sich Ramilya an Männer, die in Baschkortostan für die russische Armee mobilisiert worden waren. Sie forderte sie auf, sich der Teilnahme am Krieg gegen die Ukraine zu verweigern, zu desertieren und „mutig zu sein und offen zu erklären, dass sie sich weigern zu töten“.
Zusätzlich zu der fünfjährigen Haftstrafe verbot das Gericht Ramilya für einen Zeitraum von vier Jahren die Verwaltung von Websites. Später wurde sie auf die Liste der Terrorist:innen der russischen Behörden gesetzt. Im Jahr 2024 wurden die Haftbedingungen für Ramilya verschärft. Diese Änderung erfolgte, nachdem zwei andere weibliche Häftlinge sie körperlich angegriffen hatten. Sie beschwerte sich sofort beim diensthabenden Beamten, doch letztendlich beschloss die Disziplinarkommission, dass sie gegen die Anordnung verstoßen hatte, und schickte sie für 15 Tage in eine Strafzelle. Nach Verlassen der Strafzelle wurde sie in eine Einheit mit strengeren Bedingungen verlegt. Sie erhielt ein Verbot, ihre Verwandten anzurufen. Die Gefangenen, die Ramilya angegriffen hatten, wurden nicht bestraft. Die Aktivist:innen, die den Fall Saitova beobachten, sagen, dass sie normale Beziehungen zu allen in der Einrichtung hatte, und sie betrachten den Vorfall als „eine Provokation, die von der Gefängnisverwaltung und möglicherweise vom Geheimdienst organisiert wurde”.
„Ich werde dafür bestraft, dass ich eine andere Meinung zu Fragen des Krieges und des Friedens habe und zu der Frage, ob die Zivilbevölkerung für militärische Aggressionen gegen ein anderes Land missbraucht werden darf. Ich bereue es keine Sekunde, mein Video veröffentlicht zu haben. Ich war mir der Risiken bewusst; viele Leute rieten mir, mich nicht zu äußern. Deshalb sehe ich mich nicht als Opfer dieser Situation, sondern eher als Kriegsgefangene. Hätte ich diese Erklärung nicht abgegeben, hätte ich mein Selbstbewusstsein verloren. Manchmal bedeutet Schweigen Mittäter:innenschaft. Ich hatte eine echte Chance, Einfluss auf die Situation zu nehmen.“
Kunstwerk eine:r:s anonymen Künstler:in aus Baschkortostan, aus dem Bashqort Üsärgän Clan
Maria ist eine 65-jährige Anwältin und Menschenrechtsaktivistin, der als politische Gefangene wegen „geheimer Zusammenarbeit mit einem anderen Land gegen die Sicherheit Russlands” eine Freiheitsstrafe von bis zu acht Jahren drohen. Im Mai 2025 durchsuchte die Polizei Marias Wohnung, verschaffte sich Zugang zu ihrem Handy und nahm sie fest. Maria wurde am nächsten Tag in Untersuchungshaft genommen. Die Akten sind geheim, und Marias Rechtsvertretung behauptet, dass die Behörden keine Beweise für ihre Schuld vorgelegt haben. Die Strafverfolgung von Maria ist politisch motiviert und verletzt ihr Recht auf ein faires Verfahren.
Maria ist seit 30 Jahren Vorsitzende des Komitees der Soldatenmütter Russlands in Kaliningrad, das sie gegründet hat. Während der beiden Tschetschenienkriege verteidigte sie Wehrpflichtige vor Gericht gegen die russischen Behörden. Außerdem hat sie sich aktiv für das Recht der russischen Bürger auf einen alternativen Zivildienst eingesetzt. Sie ist bekannt dafür, dass sie viele politische Gefangene und Kriegsgegner:innen in Russland vertritt.
Maria ist in der Haft unmenschlichen Bedingungen ausgesetzt: Ihr wird eine angemessene medizinische Versorgung vorenthalten, es ist ihr verboten, Care-Pakete von außerhalb der Einrichtung zu erhalten, und sie erhält nur drei Liter sauberes Wasser pro Woche. Einmal wurde sie bei starkem Regen lange Zeit im Gefängnishof gelassen. Maria leidet an schweren chronischen Krankheiten und ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich rapide. Wann immer sie eine medizinische Notfallversorgung benötigt, wird sie während des gesamten Eingriffs mit Handschellen gefesselt. Maria sagte zu ihrer Rechtsvertretung: „Sie bringen mich um“.
Im Oktober 2025 berichtete Marias Sohn, dass der russische Geheimdienst versucht habe, sie zu erpressen, damit sie gegen einen Kollegen aussagt. Sie drohten ihr, sie wegen Hochverrats anzuklagen und zu 15 Jahren Haft zu verurteilen, wenn sie sich weigern würde. Maria sagte, sie würde das niemals tun.
„Jede Person, die in Russland lebt, sollte verstehen, dass unsere Zukunft ungewiss ist. Es wird mehr Repressionen geben. In welchem Ausmaß, werden wir sehen. Ich werde nicht weggehen. Jemand muss die Menschen verteidigen. Als ich zum ersten Mal vor Gericht stand, wurde mir klar, wie wichtig es ist, eine Rechtsvertretung zu haben. Ich erkannte auch die Bedeutung meiner Arbeit. Wer sonst soll die Menschen verteidigen? Ich bleibe hier.“
Kunstwerk von Dasha Burleshina
Polina (geb. 1998) ist ausgebildete Übersetzerin und alleinerziehende Mutter aus Toljatti. Ihr drohen wegen „Hochverrat“ und fünf weiterer Straftaten eine Haftstrafe von 22,5 Jahren. Zu den Anklagepunkten gehören „Verbreitung falscher Informationen über das russische Militär“ und „Rechtfertigung von Terrorismus“.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat Polina zahlreiche Anti-Kriegs-Beiträge auf ihrem kleinen Instagram-Account mit 128 Follower:innen veröffentlicht. Aus Solidarität begann sie bald, alle Beiträge auf Ukrainisch zu verfassen. Kurz vor ihrer Verhaftung hatte sie erfolgreich ein Bildungsprogramm für junge Unternehmer:innen absolviert und ein Stipendium für die Gründung ihres eigenen Kleinunternehmens erhalten.
Polina wurde in den frühen Morgenstunden des Jahres 2023 verhaftet, kurz nachdem sie ihre sechsjährige Tochter im Kindergarten abgegeben hatte. Das Strafverfahren gegen sie basierte nicht nur auf ihren Instagram-Posts, sondern vor allem auf der Aussage eines verdeckten Ermittlers – eines Fremden, der Polina sechs Monate zuvor über soziale Medien kennengelernt hatte. Der 36-jährige Mann gewann Polinas Vertrauen durch regelmäßige Kommunikation. Während ihrer Treffen ermutigte er sie, ihre Meinung zu Krieg und Politik zu äußern, und bat sie um Rat, wie er der Mobilmachung entgehen könne. Er zeichnete alle ihre Gespräche heimlich auf und gab diese Aufzeichnungen an den russischen Geheimdienst (FSB) weiter.
Dies ist nicht das erste Mal, dass russische Bürger:innen mit solchen Provokationen konfrontiert sind, die zu Haftstrafen führen. Laut Berichten von Menschenrechts-NGOs gab es seit 2022 bereits Dutzende ähnlicher Fälle, von denen die meisten wahrscheinlich von Anfang an vom Geheimdienst inszeniert wurden. Es beginnt immer damit, dass eine fremde Person online Kontakt aufnimmt, eine politische Diskussion oder bestimmte direkte Aktionen provoziert und dann Daten an den Geheimdienst weitergibt und vor Gericht als „Zeuge” auftritt.
Im Gefängnis ist Polina mit harten Bedingungen konfrontiert. Sie wurde für eine gewisse Zeit in Isolationshaft gesteckt und wegen geringfügiger Regelverstöße wiederholt für mehrere Tage in eine Strafzelle gesperrt. So wurde sie beispielsweise dafür bestraft, dass sie den Fernseher im Gefängnis nicht rechtzeitig ausgeschaltet hatte. Polinas Tochter lebt derzeit bei ihren Großeltern.
„Wofür kämpft Putins Russland? Geht es darum, die Ukraine von Menschen zu befreien, die früher mit den Russ:innen und Russland kein Problem hatten – indem man sie tötet? Oder geht es darum, das ukrainische Volk aus seinem eigenen Land zu vertreiben? Oder geht es einfach darum, dass „wir [frühere Siege] wiederholen können”? Wir haben es [wiederholt]. Wir haben erneut den Faschismus etabliert, ukrainische Städte bombardiert und unzählige Zivilist:innen und Kinder getötet!”
Kunstwerk von Baba Pasha















