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Thomas Feuerstein_Deutsch

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METABOLICA 
Thomas Feuerstein

Mit METABOLICA widmet das MuseumsQuartier Wien dem österreichischen Künstler Thomas Feuerstein eine umfassende Einzelausstellung, in der der gleichnamige monumentale Werkkomplex erstmals vollständig zu sehen ist. Feuerstein arbeitet seit 2017 daran und wird dabei von einem Team aus Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen unterstützt.

Metabolismus, also Stoffwechsel, bezeichnet im biologischen Sinn eine fundamentale Bedingung für Leben. Er bedeutet Austausch und Umwandlung von Energie und Materie, die kontinuierliche Transformation von Substanzen in andere Formen. Feuerstein versteht Metabolismus zugleich als Metapher für kulturelle und gesellschaftliche Prozesse: Nichts bleibt statisch, alles befindet sich in Bewegung, Verwandlung und Rückkopplung. METABOLICA macht diese Prinzipien als Kreisläufe zwischen Natur und Technik, Kunst und Wissenschaft sichtbar und erlebbar. Im Gegensatz zum gegenwärtigen Wirtschaftssystem, das auf linearem Wachstum und Ressourcenverbrauch beruht, zeigt die Ausstellung mittels realer Prozesse und künstlerisch-philosophischer Reflexionen, dass nur ein Denken in Kreisläufen die Grundlage für nachhaltiges Leben bilden kann.

In insgesamt fünf Kapiteln erzählt METABOLICA anhand von Stoffwechselkreisläufen eine molekular verfasste Geschichte des Industriezeitalters, der petromodernen Gegenwart und einer zukünftigen Bioökonomie. Die Ausstellung ist in ihrer Gesamtheit eine Art „Kreislauffabrik“, in der Texte und Grafiken, Algen und Bakterien, Maschinen und Skulpturen, Bioreaktoren und 3D-Drucker zusammenwirken.

Die beeindruckenden Maschinenskulpturen sind keine rein ästhetischen Objekte, sondern funktionale Laborapparaturen. Sie sind Teil der zusammenhängenden Gesamtinstallation, zugleich aber auch eigenständige Skulpturen mit Titeln wie HYDRA, FATTY FANTASY, RAFFINERIE oder ANAKEL. Die Faszination von Künstler:innen für Maschinen hat eine lange Tradition, und auch bei Feuerstein zeigt sich, wie Kunst und Wissenschaft eine produktive Wechselbeziehung eingehen.

Die Bakterien selbst werden zu wichtigen Kollaborateuren des Künstlers, indem sie in Algen angereicherte Fettsäuren zu dem Biokunststoff Polyhydroxybutyrat (PHB) verstoffwechseln und so jenes Material erzeugen, aus dem dann im 3D-Drucker oder von Hand geformte Skulpturen entstehen. Diese Bakterien vermögen es zudem, die PHB-Skulpturen auch wieder zu zersetzen – ein Sinnbild für Kreislauf, Transformation und ein neues Denken in Bezug auf natürliche Ressourcen. Für die Formen nimmt Feuerstein Anleihe bei Werken von Künstler:innen wie Michelangelo oder Louise Bourgeois. Eine angedeutete Micky Maus, die bildlich an die Struktur eines PHB-Moleküls erinnert, taucht als Referenz auf Kapitalismus, Plastikzeitalter und Popkultur auf.

Neben den skulpturalen und installativen Elementen findet sich in METABOLICA auch das Literarische: DEAR EARTH DEARTH, eine von Thomas Feuerstein verfasste Kurzgeschichte, erklingt als Hörspiel aus dem Inneren einer Skulptur. Darüber hinaus illustrieren rund hundert Grafiken die vielschichtigen Überlegungen des Künstlers.

 

Biografie
Thomas Feuerstein, geboren 1968 in Innsbruck, studierte Kunstgeschichte und Philosophie und promovierte 1995 an der Universität Innsbruck. Ab 1992 war er Mitherausgeber der Zeitschrift Medien.Kunst.Passagen, arbeitete an Forschungsaufträgen über Kunst und Architektur sowie Kunst im elektronischen Raum. Seit 1997 ist er als Lektor und Gastprofessor an Universitäten und Kunsthochschulen tätig, zuletzt als Professor für künstlerische Diskurse am ./studio3 – Institut für experimentelle Architektur der Universität Innsbruck.

Thomas Feuersteins Arbeiten waren auf Biennalen in Peking, Lyon und Moskau zu sehen und wurden in Einzelausstellungen im Museion / NOI Techpark in Bozen, im Kunstraum Dornbirn, in der ERES Stiftung in München, im Chronus Art Center in Shanghai, im Medical Museion in Kopenhagen und im Frankfurter Kunstverein gezeigt. Er lebt in Wien.

 

Kapitel 1
Das erste Kapitel beginnt mit Wasser, Kohlendioxid und Fotosynthese. Einzellige Grünalgen (Chlorella vulgaris) fließen durch ein transparentes Schlauchsystem, absorbieren Licht, wachsen und vermehren sich. Die Skulptur HYDRA, ein Hybrid aus Wal, U-Boot und Fotobioreaktor, filtriert das Plankton wie die Barten eines Wals und pumpt kontinuierlich Biomasse in die Skulptur FATTY FANTASY. Dort reichern die Algen über einen eigenen Stoffwechselkreislauf in Abwesenheit von Stickstoff Fettsäuren in ihren Zellen an. Die Skulptur MOBY DICK, eine umgebaute Ölpumpe, fördert statt fossilen Planktons in Form von Erdöl nachwachsendes Plankton und unterstützt die Bildung von Fettsäuren.

Die großformatige grafische Arbeit METABOLICA MAP fungiert als Flussdiagramm der fünf Kapitel des METABOLICA-Werkkomplexes.

1           HYDRA, 2020

Grünalgen (Chlorella vulgaris), Wasser, Stahl, Glas, Schläuche, Pumpen, Maße variabel

2          FATTY FANTASY, 2023

Grünalgen (Chlorella vulgaris), Glas, Stahl, LED-Leuchten, Schläuche, 390 × 110 × 90 cm

3          MOBY DICK, 2023

Stahl, Spiegelglas, Elektromotor, 440 × 500 × 100 cm

4          METABOLICA MAP, 2024

Tusche und Aquarell auf Papier, C-Print auf Acrylglas, 195 × 140 cm

 

Kapitel 2
In den Bioreaktor-Skulpturen MS MOL und MR MOL wandeln Bakterien (Cupriavidus necator) die Fettsäuren der Algen in den Biokunststoff Polyhydroxybutyrat (PHB) um. Die Kultivierung der Bakterien erfolgt zweistufig: In MS MOL vermehren sich die Bakterienzellen, indem sie die Fettsäuren unter Anwesenheit von Stickstoff verstoffwechseln; in MR MOL werden die Fettsäuren ohne Stickstoff von den Bakterien zur Energiespeicherung zu PHB metabolisiert.

Zusammen stellen MS MOL und MR MOL bildlich die Struktur eines PHB-Moleküls dar, das an eine abstrahierte Micky Maus erinnert. Während Walt Disneys Micky Maus den Aufstieg der Öl- und Kunststoffindustrie ab 1928 begleitete, stehen für den Künstler MS MOL und MR MOL für den Wandel von der Petrochemie zur Biochemie.

5          MS MOL, 2021

Bakterien (u. a. Cupriavidus necator), Stahl, Glas, Spiegelglas, Pumpen, Schläuche, Rührwerk, Mess- und Regeltechnik, 350 × 160 × 130 cm

6          MR MOL, 2021

Bakterien (u. a. Cupriavidus necator), Stahl, Glas, Spiegelglas, Pumpen, Schläuche, Rührwerk, Mess- und Regeltechnik, 350 × 160 × 130 cm

7          MOL, 2022

Spiegelglas auf Holz, je 137 x 137 cm

 

Kapitel 3
In der Skulptur RAFFINERIE werden die in MS MOL und MR MOL kultivierten Bakterien vom Wasser getrennt, getrocknet und aufgereinigt. Übrig bleibt der Biokunststoff PHB in Pulverform, der in Konservendosen abgefüllt wird. 

Die apparative Anordnung aus Glaskolben, Rohrleitungen, Schläuchen, Pumpen und Filtern erinnert an eine petrochemische Raffinerie, die für eine biochemischen Nutzung umgebaut wurde. Gleichzeitig bildet sie skulptural ein PHB-Molekül nach.

8          RAFFINERIE, 2022

Glas, Stahl, Kunststoff, Nutschenfilter, Pumpen, 150 × 400 × 250 cm

9          CONSERVER, 2022-2024

PHB, Weißblech, Handsiebdruck, je 30 × 20 × 20 cm


Kapitel 4
Das zuvor in Kapitel 3 in der Arbeit RAFFINERIE gewonnene PHB-Pulver wird in der Skulptur ANAKEL geschmolzen und extrudiert. Im 3D-Druckverfahren wachsen Skulpturen wie Stalagmiten in einem gläsernen Reaktorgefäß, das mit flüssiger Bakterienkultur gefüllt ist. Als bildhauerische Akteure verstoffwechseln die Bakterien das Material, bearbeiten die skulpturale Form und agieren auf diese Weise sowohl als „Steinbruch“ als auch als „Meißel“.

Während die Pythia, die weissagende Priesterin des Orakels von Delphi, auf einem Dreifuß saß, verkehrt sich dieser bei ANAKEL zu einem dreibeinigen Delta-Roboter. In Abwandlung des antiken Orakels „spricht“ ANAKEL nicht oral, sondern anal.

Der Bauchredner VENTRILOQUIST, eine pneumatisch animierte Skulptur, erzählt die von Thomas Feuerstein verfasste Kurzgeschichte DEAR EARTH DEARTH.

10        ANAKEL, 2020–2024

PHB (Polyhydroxybutyrat), Bakterien (u.a. Cupriavidus necator), Stahl, Glas, Kunststoff, Wasser, Computer, Schrittmotoren, Pumpen, 350 × 130 × 130 cm

11         VENTRILOQUIST, 2022

Stahl, Stoff, Pneumatik, Audiotechnik, 140 × 120 × 120 cm

12         DEAR EARTH DEARTH, 2025

Hörspiel, 100 Minuten

Stimme: Tina Muliar, Komposition: Peter Szely, Text: Thomas Feuerstein, Produktion: Ö1 Kunstradio


Kapitel 5
WHOLE DEARTH CATALOG versammelt Skulpturen aus PHB, die von ANAKEL mittels 3D-Druck hervorgebracht, in Formen gegossen oder thermoplastisch modelliert wurden.

Skulpturen, die ganz oder teilweise in Reaktorgefäße eingetaucht sind, wie CRAWLER, befinden sich im Übergangsstadium der Verdauung und Auflösung. Bei Skulpturen wie AHEAD, NOSE, BLACK SUN oder FINNIGANS WHALE ist die durch bakteriellen Stoffwechsel bedingte Transformation unterbrochen, da ohne Feuchtigkeit und Bakterien keine Zersetzung erfolgt.

WHOLE DEARTH CATALOG ist eine sprachliche Abwandlung des Whole Earth Catalog, der als Gegenkultur-Magazin zwischen 1968 und 1972 von Stewart Brand herausgegeben wurde: Aus earth wird dearth (engl. Mangel), ein Verweis auf die Verknappung von Ressourcen und Biodiversität. Feuerstein sucht in seinem WHOLE DEARTH CATALOG nach Lösungen, um den ökologischen Mangel zu überwinden, und zeigt Möglichkeiten für einen politischen und ökonomischen Wandel auf.

13        CRAWLER, 2023

PHB, Stahl, Glas, Wasser, Bakterien (u. a. Cupriavidus necator), 420 × 330 × 330 cm

14        FINNEGANS WHALE, 2022

PHB, Stahl, 280 × 40 × 140 cm

15         Black sun speaks / the oil of the night bleeds / from the hollows of the deeps, 2023

3D-Druck aus PHB, Stahl, Duroplast, 190 × 110 × 60 cm

16        NOSE IN THE WIND, 2020

PHB, 18 x 14 x 8,5 cm

17         AHEAD, 2023

3D-Druck, PHB, Stahl, Duroplast, 60 × 90 × 60 cm

18        METABOLICA – DEAR EARTH DEARTH, 2019–2025

Tusche auf Papier, je 42 x 29,7, gerahmt 51,5 x 38,5 cm

19        MOL, 2023

Spiegelglas auf Edelstahl, 141,5 x 141,5 cm

20        You will have been all at once upon a time, 2025

PHB, Stahl, Vitrine, 200 × 110 × 80 cm

 

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