
Fotografie ist Nähe, Distanz, Zurückhaltung oder der starke Wunsch nach Begegnung: Fünf Fragen an Leo Kandl
Im Interview spricht er über Vertrauen und Distanz zu seinen Modellen, über seine persönliche Verbindung zum MuseumsQuartier und darüber, was für ihn das Reizvolle an der analogen Fotografie ist.
Das MuseumsQuartier Wien lädt seit 2024 renommierte Fotograf:innen ein, die Besucher:innen des MQ zu fotografieren. Die Porträts finden Eingang in die MQ Kampagnen und spiegeln die Bedeutung des Areals im Leben der Wiener:innen wider. Leo Kandl ist für seine Serie „Free-Portraits“ in unterschiedlichste Städte gereist. Über Zeitungsannoncen und Social Media lernte er Personen für analoge Porträtaufnahmen kennen.
Interessierte Besucher:innen konnten sich melden und wurden in der vertrauten Atmosphäre des MQ von ihm porträtiert. Die entstandenen analogen Aufnahmen werden anschließend großformatig im Wiener Stadtraum präsentiert.
Was verbindest du mit dem MQ? Und wie erging es dir beim Shooten der MQ Kampagne?
Das MQ hat als offener und lebendiger Ort für Kunst in einem erweiterten Rahmen das Bildprojekt stimuliert. Die entspannten Begegnungen mit den „Modellen“ und die gute Zusammenarbeit mit dem Team des MQ haben die lange Arbeit am Projekt leicht gemacht.
Die Serie „Free Portraits“ haben dich in Städte wie New York, Moskau, Teheran und auch nach Wien geführt. Dabei hast du viele verschiedene Menschen getroffen. Gibt es eine Person oder eine Geschichte, die dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Es sind immer wieder besondere Menschen, an die ich gerne zurückdenke. Manchen war einfach die Begegnung und der Austausch mit mir wichtig. Mit einigen bin ich heute noch in Kontakt, zum Beispiel mit Menschen aus London und aus Teheran.
Wie der Name der Serie „Free Portraits“ bereits suggeriert, fotografierst du Menschen im Porträt. Was sagt das Porträt über eine Person aus? Was sieht man in einem Porträt, was man in einer anderen Darstellungsform nicht sieht?
Für diese Arbeit ist zum einen ein Vertrauensvorschuss notwendig, den ich auch stets bekommen habe. Zum anderen sind es sowohl meine Neugier als auch die der anderen, die das Projekt tragen. In den Bildern zeigt sich ein „Sich-Einlassen auf die Situation“, aber auch Nähe, Distanz, Zurückhaltung oder der starke Wunsch nach Begegnung. Entscheidend für den Blick auf die Porträts ist der Kontext – wo wurden die Aufnahmen gemacht?
Deine Modelle hast du über Annoncen in Zeitschriften gefunden. Im Grunde sind es dir zunächst fremde Menschen. Wie nimmst du das Spannungsfeld zwischen dieser anfänglichen Fremdheit und der intimen Nähe des Fotografierens wahr?
Bei den Annoncen in den Zeitungen hängt es auch davon ab, wie viele Menschen die Zeitung lesen. Und es ist die Fremdheit der Stadt, in die ich mich begebe und in der ich das Projekt öffentlich mache. Dazu kommen die mir unbekannte Sprache und die anderen Verhaltensweisen in den jeweiligen gesellschaftlichen Biotopen. Es geht mir um den gesellschaftlichen Raum, auch wenn dieser nicht immer besonders groß sein mag.
Inmitten der Bilderflut des Digitalen bleibst du dem Analogen treu. Was reizt dich an diesem Medium und welche Qualität bringt es mit sich, die uns vielleicht abhandengekommen ist?
Es ist die ursprüngliche Systematik der Fotografie, der stufenweise Prozess vom Film über die Belichtung und Entwicklung bis hin zum fertigen Bild. Das Materialhafte im Bild, das ich darin noch vorfinde.
Über Leo Kandl
Leo Kandl (*1944) ist einer der bedeutensten Fotografen, der seit den 1970er-Jahren mit seinen eindrucksvollen Bildserien die internationale Fotografie-Szene bereichert. Nach dem Studium der Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien wandte er sich der Fotografie zu, um das Alltägliche und scheinbar Banale mit sensibler Beobachtungsgabe einzufangen. Kandls Werke wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen weltweit präsentiert, unter anderem in Wien, Graz, New York, London, Paris und Rom. 2015 erhielt er den Otto-Breicha-Preis für Fotokunst, eine der höchsten Auszeichnungen für Fotografie in Österreich .
Das Interview wurde von Anna Lena Schmidt geführt.